Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
Vom Netzwerk:
ebenso windschief auf seinem Stuhl wie gestern, mit
verschränkten Armen, das Kinn gegen die Brust gedrückt. Er schenkt mir
keinerlei Beachtung.
    »Langsam, mein Junge«, sagt August, als ich auf die Abtrennung
zugehe. »Wo willst du denn hin?«
    »Auf die andere Seite.«
    »Unfug«, entgegnet er. »Du bist der Tierarzt der Show. Du kommst mit
mir. Obwohl ich wirklich versucht bin, dich hinüberzuschicken, nur um zu
erfahren, was so geredet wird.«
    Ich folge August und Marlena zu einem der hübsch gedeckten Tische.
Ein paar Tische weiter sitzt Kinko mit drei anderen Zwergen, Queenie zu seinen
Füßen. Sie sieht hoffnungsvoll hoch, die Zunge hängt ihr seitlich aus dem Maul.
Kinko ignoriert sie, ebenso wie alle anderen am Tisch. Er starrt mich
unverwandt an, dabei mahlt er grimmig mit den Kiefern.
    »Iss etwas, Liebling«, sagt August und schiebt ein Zuckerschälchen neben
Marlenas Porridge. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Wir haben einen
waschechten Tierarzt bei uns.«
    Ich setze zu einem Widerspruch an, schlucke ihn aber runter.
    Eine zierliche Blondine kommt auf uns zu. »Marlena! Süße! Du rätst
nie, was ich gehört habe!«
    »Hallo, Lottie«, sagt Marlena. »Keine Ahnung. Was gibt’s denn?«
    Lottie gleitet neben Marlena auf die Bank und redet pausenlos,
beinahe ohne Luft zu holen. Sie ist Seiltänzerin, und ihre heißen Neuigkeiten
stammen aus zuverlässiger Quelle – ihr Informant hat gehört, wie Onkel Al und
der Vorläufer vor dem Chapiteau hitzig diskutiert haben. Es dauert nicht lange,
bis unser Tisch umlagert ist, und Lotties Bericht und die Zwischenrufe aus
ihrem Publikum liefern mir einen Schnellkurs über die Geschichte von Alan J.
Bunkel und Benzinis Spektakulärster Show der Welt .
    Onkel Al ist ein Aasgeier. Vor fünfzehn Jahren war er Direktor bei
einem kleinen Wanderzirkus, einem bunt zusammengewürfelten Haufen
mangelernährter Artisten, deren lahmende Schindmähren sie von Stadt zu Stadt
zogen.
    Im August 1928 machte – ohne jedes Zutun der Wall Street – Benzinis Spektakulärste Show der Welt Pleite. Ihnen ging
einfach das Geld aus, und sie schafften den Sprung in die nächste Stadt nicht
mehr, geschweige denn ins Winterquartier. Der Generaldirektor stieg in einen
Zug und ließ alles zurück – Menschen, Ausrüstung und Tiere.
    Onkel Al hatte das Glück, in der Nähe zu sein, und konnte zu einem
Spottpreis einen Schlafwagen und zwei Flachwagen von Eisenbahnbeamten kaufen,
die unbedingt ihre Abstellgleise leerräumen wollten. Auf den beiden Flachwagen
konnten die wenigen heruntergekommenen Zirkuswagen gut untergebracht werden,
und da auf den Eisenbahnwaggons bereits BENZINIS
SPEKTAKULÄRSTE SHOW DER WELT prangte, behielt Alan Bunkel den Namen bei
und reihte sich offiziell in die Elite der Eisenbahnzirkusse ein.
    Nach dem Börsenkrach ging es auch mit größeren Zirkusgesellschaften
bergab, und Onkel Al konnte sein Glück kaum fassen. Es fing 1929 mit den Gentry
Brothers und Buck Jones an. Im Jahr darauf schlossen die Cole Brothers, die
Christy Brothers und der mächtige John Robinson. Und jedes Mal, wenn ein
Unternehmen auseinanderbrach, war Onkel Al zur Stelle und riss sich die
Überbleibsel unter den Nagel: ein paar Eisenbahnwaggons, eine Handvoll
gestrandeter Artisten, einen Tiger oder ein Kamel. Er hatte überall Späher –
sobald bei einem größeren Zirkus Probleme auftraten, bekam Onkel Al ein
Telegramm und eilte an Ort und Stelle.
    Diese Leichenfledderei machte ihn reich. In Minneapolis schnappte er
sich sechs Paradewagen und einen zahnlosen Löwen. In Ohio waren es ein
Schwertschlucker und ein Flachwagen. In Des Moines folgten ein Garderobenzelt,
ein Flusspferd mit passendem Wagen und die Liebliche Lucinda, in Portland dann
achtzehn Zugpferde, zwei Zebras und eine Schmiede. In Seattle bekam er zwei
Schlafwagen und eine waschechte Abnormität – eine bärtige Dame –, und das
machte ihn glücklich, denn was Onkel Al sich am meisten wünscht, wovon er
nachts träumt, sind menschliche Kuriositäten. Keine künstlichen Sensationen –
wie Männer, die von Kopf bis Fuß mit Tätowierungen übersät sind, Frauen, die
auf Kommando Brieftaschen und Glühbirnen verschlucken und wieder hervorwürgen,
weibliche Haarwunder oder Männer, die sich Pflöcke in die Nase hämmern. Onkel
Al will echte Kuriositäten. Missgeburten. Und deshalb machen wir diesen Umweg
nach Joliet.
    Der Fox Brothers Circus hat gerade Bankrott gemacht, und Onkel Al
ist Feuer und Flamme, denn dort hat der

Weitere Kostenlose Bücher