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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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deutliche Hierarchie: Je näher am
Zugende sich die Quartiere befinden, desto eindrucksvoller sind sie. Onkel Al
höchstpersönlich entsteigt einem Wagen direkt vor dem Bremserhäuschen. Mir
fällt auf, dass Kinko und ich die ersten menschlichen Fahrgäste hinter der Lok
sind.
    »Jacob!«
    Ich drehe mich um. August kommt mit großen Schritten auf mich zu, er
trägt ein frisch gestärktes Hemd und ist sauber rasiert. In seinem glatten Haar
zeichnen sich noch die Zinken des Kamms ab.
    »Na, mein Junge, wie fühlen wir uns heute Morgen?«, fragt er.
    »Ganz gut«, antworte ich. »Ein bisschen müde.«
    »Hat dir der kleine Troll Ärger gemacht?«
    »Nein«, sage ich. »Er war in Ordnung.«
    »Bestens.« Er klatscht in die Hände. »Wollen wir uns dann mal das
Pferd ansehen? Wahrscheinlich ist es nichts Ernstes. Marlena verhätschelt sie
schrecklich. Ah, da ist ja mein kleiner Schatz. Hierher, Liebling«, ruft er
fröhlich. »Ich möchte dir Jacob vorstellen. Er ist sehr angetan von dir.«
    Ich spüre, wie mir das Blut ins Gesicht schießt.
    Sie bleibt neben ihm stehen und lächelt mich an, während sich August
zum Pferdewagen umdreht. »Sehr erfreut«, sagt sie und streckt mir die Hand
entgegen. Auch aus der Nähe sieht sie Catherine verblüffend ähnlich – feine
Gesichtszüge, ein Porzellanteint und vereinzelte Sommersprossen auf dem
Nasenrücken. Strahlend blaue Augen und Haar, das eine Spur zu dunkel ist, um
noch als blond zu gelten.
    »Ganz meinerseits«, entgegne ich. Mir wird schmerzlich bewusst, dass
ich mich seit zwei Tagen nicht rasiert habe, meine Kleidung vor Pferdemist
starrt und ich auch andere unangenehme Gerüche verströme.
    Sie neigt leicht den Kopf. »Sag mal, habe ich dich nicht gestern
gesehen? In der Menagerie?«
    »Ich glaube nicht«, lüge ich instinktiv.
    »Doch, sicher. Direkt vor der Vorstellung. Als der Schimpansenkäfig
zugeknallt ist.«
    Ich sehe kurz zu August, aber er steht immer noch mit dem Rücken zu
uns. Sie folgt meinem Blick und scheint zu verstehen.
    »Du kommst nicht aus Boston, oder?«, fragt sie leise.
    »Nein. Da war ich auch noch nie.«
    »Hm«, sagt sie. »Du kommst mir nur irgendwie bekannt vor. Egal«,
fährt sie fröhlich fort, »Auggie sagt, du bist Tierarzt.« Als er seinen Namen
hört, dreht August sich um.
    »Nein«, antworte ich. »Also, nicht so ganz.«
    »Er ist nur bescheiden«, sagt August. »Pete! He, Pete!«
    Einige Männer bringen vor der Tür des Pferdewagens eine Rampe mit
angebauten Seitenrändern an. Ein großgewachsener Mann mit dunklen Haaren dreht
sich um. »Ja, Chef?«, fragt er.
    »Ladet die anderen ab und bring Silver Star raus, okay?«
    »Klar.«
    Elf Pferde – fünf Schimmel und sechs Rappen – später betritt Pete
ein letztes Mal den Pferdewaggon. Kurz darauf ist er zurück. »Silver Star rührt
sich nicht von der Stelle, Chef.«
    »Dann mach ihm Beine«, sagt August.
    »Oh, nein, das lässt du schön bleiben«, sagt Marlena und wirft
August einen bösen Blick zu. Sie marschiert die Rampe hinauf und verschwindet.
    Während August und ich draußen warten, hören wir leidenschaftliches
Flehen und Zungenschnalzen. Ein paar Minuten später taucht sie in der Tür auf,
neben sich den Araberhengst mit der Silbermähne.
    Marlena geht vor ihm hinaus, sie schnalzt mit der Zunge und redet
leise. Er hebt den Kopf und weicht nach hinten aus. Schließlich folgt er ihr
die Rampe hinunter, jeden Schritt von einem tiefen Nicken begleitet. Unten
angekommen zieht er so heftig nach hinten, dass er sich fast hinsetzt.
    »Mein Gott, Marlena – hast du nicht gesagt, er wäre leicht
angeschlagen?«, sagt August.
    Marlena ist kreidebleich. »Das war er auch. Gestern ging es ihm
längst nicht so schlecht. Er lahmt seit ein paar Tagen ein bisschen, aber bei
weitem nicht so schlimm.«
    Sie schnalzt mit der Zunge und zieht, bis das Pferd schließlich auf
den Schotter tritt. Er steht mit gekrümmtem Rücken da, dabei verlagert er so
viel Gewicht wie möglich auf die Hinterbeine. Mir wird bang ums Herz. Diese
Eiertanz-Haltung ist typisch.
    »Und, was meinst du?«, fragt August.
    »Einen Moment noch«, antworte ich, obwohl ich mir bereits zu
neunundneunzig Prozent sicher bin. »Habt ihr eine Hufzange?«
    »Nein. Aber der Schmied hat eine. Soll ich Pete losschicken?«
    »Noch nicht. Vielleicht brauche ich sie nicht.«
    Ich hocke mich neben den linken Vorderlauf und streiche mit den
Händen über sein Bein, von der Schulter bis zur Fessel. Dann lege ich eine Hand
auf die

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