Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
Vom Netzwerk:
zupfe ein paar Halme ab und rolle sie zwischen den Fingern
hin und her, dabei frage ich mich, warum zum Teufel es so lange dauert, bis sie
abfahren.
    Irgendwann kommt August zu mir. Er starrt mich an, dann bückt er
sich, um das Gewehr aufzuheben. Ich habe nicht mal bemerkt, dass ich es
mitgenommen hatte.
    »Komm schon, Junge«, sagt er. »Du willst doch nicht hier
zurückbleiben.«
    »Doch, ich glaube schon.«
    »Mach dir keine Sorgen wegen dem, was ich vorhin gesagt habe – ich
habe mit Al gesprochen, und hier wird keiner bei Rot aussteigen. Es ist alles
in Ordnung.«
    Mürrisch blicke ich zu Boden. Nach einer Weile setzt August sich
neben mich.
    »Oder nicht?«, fragt er.
    »Wie geht es Marlena?«, frage ich zurück.
    August mustert mich, dann zieht er eine Packung Camels aus seiner
Hemdtasche. Er schüttelt eine Zigarette heraus und bietet sie mir an.
    »Nein, danke«, sage ich.
    »Hast du heute zum ersten Mal ein Pferd erschossen?«, fragt er und
zieht die Zigarette mit den Zähnen aus der Packung.
    »Nein. Aber das heißt nicht, dass ich es gerne mache.«
    »Als Tierarzt gehört das dazu, mein Junge.«
    »Streng genommen bin ich keiner.«
    »Dann hast du halt deinen Abschluss nicht. Egal.«
    »Es ist nicht egal.«
    »Ist es doch. Es ist nur ein Stück Papier, und hier schert sich
keiner darum. Du bist jetzt beim Zirkus. Hier gelten andere Regeln.«
    »Wie meinst du das?«
    Er deutet mit einer Handbewegung auf den Zug. »Sag mal, glaubst du
ernsthaft, das wäre die spektakulärste Show der Welt?«
    Ich antworte nicht.
    »Na?«, fragt er und stößt mich mit der Schulter an.
    »Keine Ahnung.«
    »Nicht mal annähernd. Wahrscheinlich sind wir noch nicht einmal auf
Platz fünfzig der spektakulärsten Shows der Welt. Wir haben vielleicht ein
Drittel von dem, was Ringling hat. Du weißt ja schon, dass Marlena nicht zum
rumänischen Adel gehört. Und Lucinda? Wiegt bei weitem keine vierhundertzwei
Kilo. Hundertachtzig, höchstens. Und glaubst du wirklich, Frank Otto hat seine
Tätowierungen von aufgebrachten Kopfjägern in Borneo? Natürlich nicht. Er hat
früher bei der Fliegenden Vorhut Zeltpflöcke eingeschlagen. Neun Jahre hat er
für die ganze Bemalung gebraucht. Und willst du wissen, was Onkel Al gemacht
hat, als das Flusspferd gestorben ist? Er hat es statt in Wasser in Formaldehyd
gelegt und es weiter herumgezeigt. Zwei Wochen lang waren wir mit einem
eingelegten Flusspferd unterwegs. Das Ganze hier ist eine Illusion, Jacob, und
das ist völlig in Ordnung. Die Leute wollen das so. Sie erwarten das von uns.«
    Er steht auf und streckt mir eine Hand entgegen. Nach einem
Augenblick ergreife ich sie und lasse mich von ihm hochziehen.
    Dann gehen wir zum Zug.
    »Verdammt, August«, sage ich, »das hätte ich fast vergessen. Die
Raubkatzen haben noch nicht gefressen. Wir mussten ihr Fleisch wegschmeißen.«
    »Keine Sorge, mein Junge«, sagt er. »Das ist schon geregelt.«
    »Wie meinst du das, schon geregelt?« Ich bleibe wie angewurzelt
stehen. »August? Was meinst du damit, es wäre schon geregelt?«
    August geht, das Gewehr lässig über die Schulter gehängt, einfach
weiter.

Acht
    »Wachen Sie auf, Mr. Jankowski. Sie haben schlecht
geträumt.«
    Ich reiße die Augen auf. Wo bin ich?
    Ach, verflucht noch mal.
    »Ich habe nicht geträumt«, widerspreche ich.
    »Na, auf jeden Fall haben Sie im Schlaf geredet«, sagt die Schwester.
Dieses nette schwarze Mädchen ist wieder da. Warum fällt es mir so schwer,
ihren Namen zu behalten? »Irgendwas von Sternen, die an Katzen verfüttert
werden. Machen Sie sich mal keine Sorgen wegen der Katzen – ich bin sicher, die
haben ihr Futter bekommen, auch wenn Sie vorher aufgewacht sind. Warum haben
Sie denn diese Dinger hier an?«, überlegt sie, als sie meine Handgelenke von
den Klettgurten befreit. »Sie wollten doch wohl nicht weglaufen, oder?«
    »Nein. Ich habe es gewagt, mich über das fade Zeug zu beschweren,
das man uns hier vorsetzt.« Ich werfe ihr einen Blick aus den Augenwinkeln zu.
»Und dann ist mein Teller irgendwie vom Tisch gerutscht.«
    Sie hält inne und sieht mich an. Dann bricht sie in schallendes
Gelächter aus. »Also wirklich, Sie machen mir ja Sachen«, sagt sie, als sie
meine Handgelenke zwischen ihren warmen Händen reibt. »Meine Güte.«
    Dann fällt mir ihr Name wie eine Erleuchtung ein: Rosemary! Ha. Also
bin ich doch nicht senil.
    Rosemary. Rosemary. Rosemary.
    Ich brauche etwas, um ihn mir einzuprägen, einen Reim oder etwas
Ähnliches.

Weitere Kostenlose Bücher