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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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Probleme
haben.
    Simon ist um die siebzig und hatte schon mindestens einen
Herzinfarkt. Ruth hat Diabetes und Peter Probleme mit der Prostata. Josephs
Frau ist mit dem Strandbarkeeper durchgebrannt, als sie in Griechenland waren,
und auch wenn Dinahs Brustkrebs sich Gott sei Dank zurückgezogen zu haben
scheint, wohnt jetzt ihre Enkelin bei ihr, und sie versucht, das Mädchen nach
zwei unehelichen Kindern und einer Verhaftung wegen Ladendiebstahls wieder auf
den richtigen Weg zu bringen.
    Und das sind nur die Dinge, von denen ich weiß. Es geht noch viel
mehr vor sich, aber darüber sprechen sie in meiner Gegenwart nicht, weil sie
mich nicht aufregen wollen. Von einigem habe ich Wind bekommen, aber sobald ich
nachfrage, machen sie dicht. Wir dürfen Opa nicht aufregen, nicht wahr.
    Warum? Das würde ich gerne wissen. Diese merkwürdige Praxis,
jemanden zu seinem Schutz auszuschließen, finde ich schrecklich, denn sie
drängt mich vollkommen aus dem Spiel. Wenn ich nicht weiß, was in ihrem Leben
los ist, wie soll ich mich dann am Gespräch beteiligen?
    Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es dabei gar nicht um mich
geht. Es ist ein Schutzmechanismus, der ihnen helfen soll, sich gegen meinen
bevorstehenden Tod zu wappnen, so wie Jugendliche sich von ihren Eltern
distanzieren, um sich auf ihren Auszug vorzubereiten. Als Simon sechzehn und
aufmüpfig wurde, dachte ich, er sei das Problem. Als Dinah dann so weit war,
wusste ich, dass sie nichts dazu konnte – das war der Lauf der Dinge.
    Aber bei allen Zensurmaßnahmen hat meine Familie mich immer treu und
brav besucht. Jeden Sonntag erscheint hier jemand, komme, was wolle. Sie reden
endlos darüber, wie schön/ schlecht/angenehm das Wetter ist, was sie im Urlaub
getrieben und was sie zu Mittag gegessen haben, bis sie pünktlich um fünf
dankbar auf die Uhr sehen und gehen.
    Manchmal versuchen sie beim Aufbrechen, mich in den Bingosaal am
Ende des Flurs zu schleppen, so wie die Bande von vor zwei Wochen. Möchtest du
da nicht mitmachen?, haben sie gefragt. Wir können dich auf dem Weg nach
draußen hinbringen. Das ist doch sicher lustig.
    Klar, habe ich gesagt. Wenn man ein Brokkoli ist. Und sie haben
gelacht, was mir gefallen hat, obwohl es kein Scherz war. In meinem Alter
heimst man Lorbeeren ein, wo man sie kriegen kann. Zumindest hat es gezeigt,
dass sie zugehört haben.
    Mit meinen Binsenweisheiten kann ich sie nicht lange fesseln, das
kann ich ihnen kaum übelnehmen. Meine wahren Geschichten sind alle angestaubt.
Was bringt es schon, wenn ich aus erster Hand von der Spanischen Grippe
erzählen kann, vom Aufkommen des Automobils, Weltkriegen, Kalten Kriegen,
Guerillakriegen und dem Sputnik – das ist alles längst Geschichte. Was habe ich
sonst schon zu bieten? Ich erlebe ja nichts mehr. So ist es, wenn man alt wird,
und ich glaube, genau da liegt der Hund begraben. Ich bin noch nicht bereit,
alt zu sein.
    Aber ich sollte mich nicht beklagen, wo doch heute Zirkustag ist.
    Rosemary kommt mit dem Frühstückstablett zurück, und als sie die
braune Plastikhaube abnimmt, sehe ich, dass sie Sahne und Rohrzucker auf mein
Porridge gegeben hat.
    »Erzählen Sie aber Dr. Rashid nichts von der Sahne«, sagt sie.
    »Warum nicht? Darf ich keine Sahne bekommen?«
    »Nicht Sie persönlich. Das gehört zu der besonderen Diät hier.
Einige unserer Bewohner können schwere Speisen nicht mehr so gut verdauen wie früher.«
    »Wie steht es mit Butter?« Ich bin empört. In Gedanken gehe ich die
letzten Wochen, Monate und Jahre durch und versuche, mich an den letzten
Auftritt von Sahne oder Butter in meinem Leben zu erinnern. Verdammt, sie hat
recht. Warum ist mir das nicht aufgefallen? Oder es ist mir aufgefallen, und
ich mag das Essen deshalb so wenig. Na, kein Wunder. Ich wette, wir essen auch
noch salzarm.
    »Dadurch bleiben Sie angeblich länger gesund«, sagt sie
kopfschüttelnd. »Aber warum alte Herrschaften an ihrem Lebensabend nicht ein
Stückchen Butter genießen dürfen, ist mir schleierhaft.« Sie sieht mich scharf
an. »Sie haben doch Ihre Gallenblase noch, oder?«
    »Ja.«
    Ihre Züge entspannen sich wieder. »Na, dann lassen Sie sich die
Sahne schmecken, Mr. Jankowski. Wollen Sie beim Essen fernsehen?«
    »Nein. Heutzutage läuft sowieso nur Schrott«, antworte ich.
    »Sie haben ja so recht«, sagt sie und legt die Decke am Fußende meines
Bettes zusammen. »Klingeln Sie, wenn Sie noch etwas brauchen.«
    Als sie gegangen ist, beschließe ich, netter zu sein. Ich

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