Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
»Was?«
»Einen Dickhäuter! Einen Elefanten!«
»Du hast einen Elefanten?«
»Nein, August – du hast einen Elefanten.
Sie heißt Rosie, ist dreiundfünfzig und absolut brillant. Die beste, die sie
hatten. Ich bin so gespannt, was für eine Nummer ihr euch ausdenkt …« Er
schließt die Augen, um es sich besser vorstellen zu können. Er hält sich die
Hände vors Gesicht, wackelt mit den Fingern und lächelt verzückt. »Ich glaube,
Marlena sollte mit ihr arbeiten. Sie kann beim Umzug durch die Stadt und der
großen Parade auf ihr reiten, und dann kannst du eine der Hauptnummern in der
Manege mit ihr machen. Ach ja!« Er dreht sich um und schnippt mit den Fingern.
»Wo ist sie? Los, Beeilung, ihr Hohlköpfe.«
Eine Flasche Champagner wird hervorgezaubert. Mit einer tiefen
Verbeugung präsentiert er sie Marlena zur Begutachtung. Dann dreht er den
Drahtverschluss auf und lässt den Korken knallen.
Hinter ihm stellt jemand Champagnerflöten auf Marlenas Schminktisch.
Onkel Al füllt die Gläser und reicht sie Marlena, August und mir.
Das letzte Glas erhebt er selbst. Ihm steigen Tränen in die Augen.
Er seufzt tief und schlägt sich mit der freien Hand an die Brust.
»Es ist mir eine große Freude, diesen bedeutsamen Anlass mit euch zu
feiern – mit meinen allerbesten Freunden!« Er wiegt sich in seinen
gamaschenbewehrten Schuhen und ringt sich eine echte Träne ab, die ihm über die
feiste Wange rinnt. »Wir haben nicht nur einen Tierarzt – noch dazu einen aus
Cornell –, wir haben einen Elefanten. Einen Elefanten!« Glückselig zieht er die
Nase hoch und hält überwältigt einen Moment inne. »Seit Jahren warte ich auf
diesen Tag. Und das ist erst der Anfang, meine Freunde. Jetzt gehören wir zu
den Großen. Wir sind eine ernstzunehmende Show!«
Hinter ihm wird vereinzelt applaudiert. Marlena balanciert ihre Champagnerflöte
auf dem Knie, August hält seine stocksteif vor sich. Nachdem er das Glas in die
Hand genommen hat, hat er sich nicht mehr gerührt.
Onkel Al reckt seinen Champagner in die Luft und ruft: »Auf Benzinis Spektakulärste Show der Welt !«
»Auf Benzinis! Auf Benzinis!«, erschallt es hinter ihm. Marlena und
August bleiben stumm.
Al leert sein Glas und wirft es dem Nächststehenden aus seinem
Gefolge zu. Der lässt es in seine Jackentasche gleiten und folgt Al aus dem
Zelt hinaus. Der Eingang schließt sich, und wir sind wieder zu dritt.
Einen Moment lang herrscht absolute Stille. Dann zuckt August mit
dem Kopf, als würde er zu sich kommen.
»Wir sollten uns diesen Dickhäuter wohl mal ansehen«, sagt er und
trinkt sein Glas in einem Zug aus. »Jacob, du kannst jetzt diese dämlichen
Tiere versorgen. Zufrieden?«
Ich schaue ihn groß an. Dann leere auch ich mein Glas. Aus dem
Augenwinkel sehe ich, wie Marlena es mir gleichtut.
In der Menagerie der Fox Brothers wimmelt es nur so von
Benzini-Leuten. Sie laufen hin und her, füllen Tröge, schaufeln Heu und karren
Mist weg. Teile der Seitenwand wurden hochgebunden, damit der Wind durchwehen
kann. Beim Hineingehen sehe ich mich im Zelt nach Tieren um, die Hilfe
brauchen. Zum Glück wirken alle recht munter.
Die Elefantenkuh ragt vor der hinteren Wand auf, ein riesiges Tier
in der Farbe von Sturmwolken.
Wir schlängeln uns zwischen den Arbeitern bis zu ihr durch. Sie ist
gigantisch, an der Schulter misst sie mindestens drei Meter. Ihre Haut ist von
der Rüsselspitze bis hinunter zu ihren breiten Füßen marmoriert und rissig wie
ein ausgetrocknetes Flussbett. Nur ihre Ohren sind glatt. Sie blickt uns mit
unheimlich menschlichen Augen an. Sie sind bernsteinfarben, liegen tief in den
Höhlen und werden eingerahmt von unerhört langen Wimpern.
»Großer Gott«, sagt August.
Ihr Rüssel streckt sich uns entgegen, als hätte er ein Eigenleben.
Er tanzt auf und ab, erst vor August, dann vor Marlena und schließlich vor mir.
An seinem Ende windet sich ein tastender, fingerähnlicher Fortsatz. Die
Nasenlöcher öffnen und schließen sich, und nach einigem Schnüffeln und Pusten
verschwindet der Rüssel. Er schwingt wie ein Pendel vor ihr hin und her, wie
ein riesiger Wurm aus Muskeln. Der Finger hebt etwas Streu auf und lässt es
wieder fallen. Mein Blick klebt an dem baumelnden Rüssel, und ich wünschte, er
käme zurück. Ich locke ihn mit der Hand, doch er kommt nicht.
August ist fassungslos, und auch Marlena ist sprachlos. Ich weiß
nicht, was ich denken soll. Nie zuvor habe ich ein so großes Tier gesehen. Sie
überragt mich
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