Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
ist
eingefallen, seine Augen verzweifelt. Sie blickt auf ihren Teller.
»Geben Sie sich einen Ruck, Miss. Haben Sie Mitleid. Ich hab seit
zwei Tagen nichts gegessen.« Er fährt sich mit der Zunge über die
aufgesprungenen Lippen.
»Geh weiter«, sagt August, packt Marlena am Arm und führt sie
resolut zu einem Tisch in der Zeltmitte. Er nimmt nicht unseren üblichen Tisch,
aber mir ist schon aufgefallen, dass die Leute lieber nicht mit August
streiten. Marlena sitzt stumm da und blickt immer wieder zu den Männern vor dem
Zelt.
»Es geht einfach nicht«, sagt sie und wirft ihr Besteck auf den
Tisch. »Ich kann nicht essen, während diese armen Leute da draußen sind.« Sie
steht auf und nimmt ihren Teller.
»Wohin willst du?«, fragt August barsch.
Marlena starrt ihn an. »Wie soll ich hier sitzen und essen, wenn die
seit zwei Tagen nichts zu beißen hatten?«
»Du wirst ihm das nicht geben«, entgegnet August. »Und jetzt setz dich !«
An mehreren Tischen blicken sich Leute um. August lächelt sie nervös
an und beugt sich zu Marlena. »Liebling«, sagt er eindringlich, »ich weiß, wie
schwer es dir fällt. Aber wenn du ihm etwas zu essen gibst, bestärkt ihn das
nur darin hierzubleiben, und was dann? Onkel Al hat seine Wahl schon getroffen.
Er gehörte nicht dazu. Er muss weiterziehen, das ist alles – je eher, desto
besser. Es ist zu seinem Besten. Du würdest ihm einen Gefallen tun.«
Marlena kneift die Augen zusammen. Sie stellt ihren Teller ab,
spießt mit der Gabel ein Schweinekotelett auf und knallt es auf eine
Brotscheibe. Sie schnappt sich Augusts Brot, klatscht es obendrauf und stürmt
davon.
»Wag es ja nicht«, ruft August.
Sie geht schnurstracks auf den hageren Mann zu und drückt ihm das
Sandwich in die Hand. Dann stolziert sie unter vereinzeltem Klatschen und
Pfeifen von den Arbeiterzelten her davon.
August bebt vor Wut, an seiner Schläfe pulsiert eine Ader. Einen
Moment später steht er auf und nimmt seinen Teller. Er kippt sein Essen in den
Müll und geht.
Ich sehe mir meinen Teller an. Er ist vollgeladen mit Koteletts,
Kohl, Kartoffelbrei und Bratäpfeln. Ich habe den ganzen Tag wie ein Pferd
geschuftet, aber jetzt bekomme ich keinen Bissen herunter.
Obwohl es beinahe sieben Uhr ist, steht die Sonne noch hoch am
Himmel. Ein Gewitter liegt in der Luft. Hier sieht es ganz anders aus als im
Nordosten, aus dem wir kommen. Die Gegend ist flach und knochentrocken. Auf dem
Zirkusplatz wächst überall hohes Gras, aber es ist braun und niedergetrampelt
und so spröde wie Stroh. An den Rändern, nahe der Gleise, hat sich Unkraut
breitgemacht – zähe Pflanzen mit faserigen Stängeln, kleinen Blättern und
gedrungenen Blüten, die ihre ganze Energie darauf verwenden, sich der Sonne
entgegenzustrecken.
Im Vorbeigehen sehe ich Kinko im schmalen Schatten hinter dem
Stallzelt stehen. Vor ihm hockt Queenie und verrichtet ihr Geschäft, sie hat
Durchfall und hoppelt nach jedem wässrigen Ausstoß ein Stückchen vor.
»Was ist los?«, frage ich und bleibe neben ihm stehen.
Kinko sieht mich böse an. »Wonach zum Teufel sieht’s denn aus? Sie
hat Dünnpfiff.«
»Was hat sie gefressen?«
»Weiß der Geier.«
Ich schaue mir eine der kleinen Pfützen auf Parasiten hin an. Sie
scheint keine zu haben. »Frag im Küchenbau nach etwas Honig.«
»Hm?«, macht Kinko, richtet sich auf und blinzelt zu mir hoch.
»Honig. Wenn du an gemahlene Rotulmenrinde kommst, rühr davon etwas
unter. Aber ein Löffel Honig sollte auch schon helfen«, sage ich.
Mit in die Seite gestemmten Armen wirft er mir einen finsteren Blick
zu. Dann sagt er skeptisch: »Okay«, und wendet sich wieder seinem Hund zu.
Ich gehe weiter und setze mich schließlich auf ein Fleckchen Gras
ein Stück entfernt von der Fox-Brothers-Menagerie. Sie liegt verdächtig
verlassen da, als wäre sie von einem Minenfeld umgeben. Niemand nähert sich ihr
auf weniger als zwanzig Schritte. Die Zustände im Inneren müssen grauenhaft
sein, aber außer Onkel Al und August zu fesseln und den Wasserwagen zu kapern,
fällt mir ums Verrecken nicht ein, was ich machen könnte. Ich werde immer
verzweifelter, bis ich nicht mehr still sitzen kann. Also stehe ich auf und
gehe stattdessen zu unserer Menagerie.
Sogar mit gefüllten Wassertrögen und Durchzug sind die Tiere durch
die Hitze völlig abgestumpft. Die Zebras, Giraffen und anderen Heufresser
halten sich auf den Füßen, aber sie recken die Hälse und halten die Augen halb
geschlossen. Auch das Yak
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