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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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um mehr als einen Meter.
    »Sind Sie der Elefantenkutscher?«, fragt ein Mann, der sich uns von
rechts nähert. Sein dreckiges Hemd hängt ihm aus der Hose und bauscht sich unter
den Hosenträgern.
    »Ich bin der Stallmeister und für alle Tiere zuständig«, antwortet
August und richtet sich zu voller Größe auf.
    »Wo ist der Elefantenkutscher?«, fragt der Mann und spuckt eine
Ladung Tabaksaft aus dem Mundwinkel.
    Die Elefantendame streckt den Rüssel aus und tippt ihm auf die
Schulter. Er schlägt nach ihr und geht außer Reichweite. Mit offenem,
schaufelförmigem Maul präsentiert sie etwas, das man nur als Lächeln bezeichnen
kann, und fängt an, sich im Einklang mit dem Rüssel hin und her zu wiegen.
    »Warum wollen Sie das wissen?«, fragt August.
    »Will ihm nur was sagen, sonst nichts.«
    »Warum?«
    »Will ihm sagen, worauf er sich gefasst machen kann.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Zeigen Sie mir Ihren Elefantenkutscher, dann sag ich’s Ihnen.«
    August nimmt meinen Arm und zieht mich vor. »Hier, das ist er. Also,
worauf können wir uns gefasst machen?«
    Der Mann mustert mich, schiebt seinen Priem in eine Backentasche und
redet weiter mit August. »Das hier ist das dämlichste Vieh, das es je gegeben
hat.«
    August sieht ihn fassungslos an. »Sie sollte doch der beste Elefant
sein. Al hat gesagt, sie wäre die Beste.«
    Der Mann schnaubt und spritzt einen Schwall brauner Spucke in
Richtung des großen Tiers. »Wenn sie die Beste ist, warum war sie dann als
Einzige noch da? Meinen Sie, Sie wären als Erster zum Plündern gekommen? Sie
waren ja erst nach drei Tagen hier. Na ja, viel Glück dann.« Damit will er
gehen.
    »Warten Sie«, sagt August rasch. »Was können Sie mir noch sagen? Ist
sie gefährlich?«
    »Nee, nur dumm wie Bohnenstroh.«
    »Woher kommt sie?«
    »Von einem dreckigen Polack, der ist mit ihr durch die Gegend
gezogen. In Libertyville ist er tot umgefallen. Die Stadt hat sie für ein
Butterbrot abgegeben. War trotzdem kein Schnäppchen, seitdem hat sie ’nen
feuchten Dreck gemacht und nur gefressen.«
    August ist blass geworden. »Soll das heißen, sie war nicht mal beim
Zirkus?«
    Der Mann steigt über das Seil und verschwindet hinter dem Elefanten.
Als er zurückkommt, hat er einen Holzstock in der Hand, etwa einen Meter lang
und mit einem zehn Zentimeter langen Metallhaken am Ende.
    »Hier ist Ihr Elefantenhaken. Den werden Sie brauchen. Viel Glück
auch. Was mich angeht, ich will im Leben nie wieder einen Elefanten sehen.« Er
spuckt noch einmal aus und geht.
    August und Marlena starren ihm nach. Ich sehe gerade noch, wie die
Elefantenkuh ihren Rüssel in die Tränke taucht. Dann hebt sie ihn an, zielt und
spritzt den Mann mit solcher Wucht voll, dass das Wasser ihm den Hut vom Kopf
reißt.
    Mit tropfnassem Haar und Hemd bleibt er stehen. Einen Augenblick
lang rührt er sich nicht. Dann wischt er sich das Gesicht ab, hebt den Hut auf,
verbeugt sich vor den erstaunten Menageriearbeitern und geht seiner Wege.

Zehn
    August schnauft und schnaubt und läuft so rot an, dass er
beinahe violett wird. Dann marschiert er davon, wahrscheinlich, um die Sache
mit Onkel Al auszufechten.
    Marlena und ich sehen uns an. Wortlos einigen wir uns, dass keiner
ihm nachgeht.
    Einer nach dem anderen verlassen die Arbeiter die Menagerie. Die
Tiere richten sich, nachdem sie endlich mit Futter und Wasser versorgt wurden,
zur Nacht ein. Am Ende eines verzweifelten Tages herrscht Frieden.
    Allein zurückgeblieben halten Marlena und ich Rosie Fressen vor den
neugierigen Rüssel. Als sie mir mit ihrem merkwürdigen, biegsamen Finger ein
Heubüschel aus der Hand zieht, quietscht Marlena vor Vergnügen. Rosie wirft den
Kopf in den Nacken und öffnet ihr Maul zu einem Lächeln.
    Als ich mich nach Marlena umdrehe, merke ich, dass sie mich ansieht.
In der Menagerie hört man nichts als Scharren, Schnauben und leises Kauen.
Draußen, weit entfernt, spielt jemand auf einer Mundharmonika eine
eindringliche Melodie im Dreivierteltakt, die ich nicht wiedererkenne.
    Ich weiß nicht genau, wie es passiert – strecke ich ihr die Arme
entgegen? Oder sie mir? –, aber schon im nächsten Moment halte ich sie in den
Armen, und wir wiegen uns vor dem niedrigen Absperrseil in einem schwungvollen
Walzer. Bei einer Drehung fällt mein Blick auf Rosies erhobenen Rüssel und ihr
lächelndes Gesicht.
    Plötzlich löst Marlena sich von mir.
    Ich bleibe regungslos stehen, die Arme noch leicht erhoben, und weiß
nicht, was ich

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