Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
halb so wild«, fährt er fort. »Du lernst schon
noch, mehr zu vertragen. Und das andere – tja, ich musste dir das von neulich
heimzahlen. Jetzt sind wir quitt. Eigentlich hast du eher noch einen gut bei
mir. Der Honig hat Queenie abgedichtet wie ein Korken. Und, kannst du lesen?«
Ich blinzle ein paar Mal. »Hm?«, mache ich.
»Willst du vielleicht was lesen, statt dazuliegen und im eigenen
Saft zu schmoren?«
»Ich glaube, ich schmore lieber noch ein bisschen.« Ich schließe fest
die Augen und bedecke sie mit meiner Hand. Mein Gehirn fühlt sich zu groß an
für meinen Kopf, die Augen tun mir weh, und mir ist kotzübel. Und meine Eier
jucken.
»Wie du meinst«, sagt er.
»Vielleicht ein andermal.«
»Klar. Sicher.«
Pause.
»Kinko?«
»Ja?«
»Danke für das Angebot.«
»Klar.«
Längere Pause.
»Jacob?«
»Ja?«
»Wenn du willst, kannst du mich Walter nennen.«
Unter meiner Hand reiße ich die Lider auf.
Seine Pritsche quietscht unter seinen Bewegungen. Als ich durch
meine gespreizten Finger schiele, sehe ich, wie er sein Kissen doppelt legt,
sich zurücklehnt und ein Buch aus der Kiste nimmt. Queenie zu seinen Füßen
lässt mich nicht aus den Augen. Sie runzelt besorgt die Stirn.
Am späten Nachmittag nähert sich der Zug Chicago. Obwohl mein
Schädel pocht und jeder Knochen schmerzt, verrenke ich mir in der offenen
Wagentür den Hals, um alles zu sehen. Schließlich ist das die Stadt des
Valentinstag-Massakers, der Jazzmusik, der Gangster und Flüsterkneipen.
In der Ferne sehe ich mehrere hohe Gebäude, und während ich noch
versuche, das legendäre Allerton auszumachen, sind wir schon an den
Schlachthöfen. Sie erstrecken sich kilometerlang, und wir passieren sie im
Kriechtempo. Neben den hässlichen Flachbauten ragen die Pferche voller panisch
blökender Rinder und verdreckter, grunzender Schweine bis direkt an die Gleise.
Doch das ist nichts im Vergleich zu den Geräuschen und Gerüchen, die aus den
Gebäuden dringen: Binnen Minuten treiben mich der Gestank von Blut und die
durchdringenden Schreie in den Ziegenverschlag zurück, wo ich das Gesicht in
die angeschimmelte Pferdedecke presse, um den Geruch des Todes wieder
loszuwerden.
Mein Magen ist noch so empfindlich, dass ich, obwohl wir die
Schlachthöfe weit hinter uns gelassen haben, lieber im Pferdewagen bleibe, bis
alles aufgebaut ist. Der Wunsch, Tiere um mich zu haben, treibt mich
schließlich zu einem Rundgang durch die Menagerie.
Ich kann gar nicht beschreiben, welche Zuneigung ich plötzlich für
sie empfinde, für die Hyänen, die Kamele und alle anderen. Selbst für den
Eisbären, der im Sitzen mit seinen zehn Zentimeter langen Fängen an seinen zehn
Zentimeter langen Krallen nagt. Eine Woge der Liebe für diese Tiere bricht über
mich herein, eine wahre Sturzflut, so klar und rein wie Wasser und so beständig
wie ein Obelisk.
Mein Vater hat die Behandlung der Tiere noch als seine Pflicht angesehen,
als er schon längst nicht mehr bezahlt wurde. Er konnte nicht tatenlos zusehen,
wenn ein Pferd eine Kolik hatte oder eine Kuh eine Steißgeburt, egal, ob es für
ihn den Ruin bedeutete. Die Parallelen lassen sich nicht leugnen. Ich bin
fraglos der einzige Puffer zwischen diesen Tieren und den Geschäftspraktiken
von August und Onkel Al. Mein Vater würde sich um sie kümmern, und das Gleiche
würde er von mir erwarten, davon bin ich felsenfest überzeugt. Egal, wie sehr
ich mich letzte Nacht blamiert habe, ich kann diese Tiere nicht im Stich
lassen. Ich bin ihr Hirte, ihr Beschützer. Und das ist mehr als eine Pflicht.
Es ist ein Pakt mit meinem Vater.
Einen Schimpansen, der Streicheleinheiten braucht, trage ich bei
meiner Runde durch das Zelt auf der Hüfte mit mir herum. Der große, freie Platz
ist offenbar für die Elefantenkuh vorgesehen. Wahrscheinlich hat August
Probleme, sie aus ihrem Wagen zu holen. Wäre ich ihm auch nur im Geringsten
wohlgesonnen, würde ich nachsehen, ob ich helfen kann. Aber ich bin es nicht.
»He, Doc«, sagt Pete. »Otis meint, eine der Giraffen hätte ’ne
Erkältung. Kannst du mal nachsehen?«
»Sicher«, antworte ich.
»Komm mit, Bobo«, sagt Pete und streckt die Arme aus.
Der Affe klammert sich mit seinen haarigen Gliedmaßen nur fester an
mich.
»Na los«, sage ich und versuche, seine Arme zu lösen. »Ich bin
gleich wieder da.«
Bobo bewegt sich keinen Millimeter.
»Na los«, wiederhole ich.
Nichts.
»Na gut. Noch einmal drücken und dann reicht’s.« Ich presse mein
Gesicht
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