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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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in sein dunkles Fell.
    Der Schimpanse schenkt mir ein breites Grinsen und küsst mich auf
die Wange. Dann klettert er hinunter, schiebt seine Hand in Petes Hand und
zockelt auf krummen Beinen davon.
    Der Giraffe fließt etwas Eiter den langen Nasengang hinunter. Bei
einem Pferd würde ich mir deswegen keine Sorgen machen, aber da ich von
Giraffen keine Ahnung habe, gehe ich auf Nummer sicher und verpasse ihr einen
Halswickel. Dafür muss Otis eine Leiter unten festhalten und mir alles Nötige
anreichen.
    Die Giraffe ist scheu und wunderschön und vermutlich das
merkwürdigste Wesen, das ich je gesehen habe. Ihre Beine und ihr Hals sind
zierlich, der Körper fällt nach hinten ab und ihre Zeichnung wirkt, als sei sie
mit Puzzlestücken bedeckt. Merkwürdige Fellknubbel ragen oberhalb der großen
Ohren aus ihrem dreieckigen Schädel. Sie hat große, dunkle Augen und so
samtweiche Lippen wie ein Pferd. Ich halte sie an ihrem Halfter fest, aber im
Großen und Ganzen bleibt sie ruhig stehen, während ich ihre Nasenlöcher abtupfe
und ihren Hals mit Flanell umwickle. Als ich fertig bin, klettere ich hinunter.
    »Kannst du mich kurz vertreten?«, frage ich Otis, als ich mir die
Hände an einem Lumpen abwische.
    »Klar. Warum?«
    »Ich habe was zu erledigen«, antworte ich.
    Otis kneift die Augen zusammen. »Du willst doch nicht abhauen,
oder?«
    »Was? Nein. Natürlich nicht.«
    »Sag’s mir lieber gleich, weil wenn du abhauen willst, übernehme ich
nicht für dich.«
    »Ich haue nicht ab. Warum sollte ich abhauen?«
    »Wegen … Na, du weißt schon. Gewisser Ereignisse.«
    »Nein! Ich haue nicht ab. Lass es einfach gut sein, ja?« Weiß denn
hier jeder von meiner Blamage?
    Ich mache mich zu Fuß auf den Weg und finde mich nach einigen
Kilometern in einer Wohngegend wieder. Die Häuser sind heruntergekommen,
zahlreiche Fenster wurden mit Brettern vernagelt. Eine lange Schlange
verwahrloster, niedergeschlagener Menschen steht vor der Tür einer Mission um
Essen an. Ein schwarzer Junge will meine Schuhe putzen; ich würde zwar gerne
darauf eingehen, habe aber keinen Cent in der Tasche.
    Endlich finde ich eine katholische Kirche. Ich sitze lange in einer
Bank weit hinten und betrachte die Buntglasfenster hinter dem Altar. Obwohl ich
mir von ganzem Herzen Vergebung wünsche, kann ich mich der Beichte nicht
stellen. Irgendwann stehe ich auf und entzünde Kerzen zum Gedenken an meine
Eltern.
    Als ich gehen will, fällt mein Blick auf Marlena – sie muss hereingekommen
sein, während ich im Alkoven stand. Zwar kann ich nur ihren Rücken sehen, aber
sie ist es, vorne in der ersten Bankreihe mit einem blassgelben Kleid und
passendem Hut. Ihr Hals ist zierlich, ihre Schultern kantig. Unter ihrer
Hutkrempe lugen ein paar hellbraune Locken hervor.
    Sie kniet sich auf ein Kissen, um zu beten, und mir zieht sich das
Herz zusammen.
    Ich verlasse die Kirche, bevor ich meiner Seele noch größeren
Schaden zufüge.
    Nach meiner Rückkehr zum Zirkusplatz sehe ich, dass Rosie ins Menageriezelt
gebracht wurde. Ich weiß nicht wie, und ich frage auch nicht.
    Als ich zu ihr gehe, lächelt sie, dann ballt sie ihre Rüsselspitze
wie eine Faust und reibt sich ein Auge. Nachdem ich sie eine Weile beobachtet
habe, steige ich über das Seil. Sie legt die Ohren an und kneift die Augen
zusammen. Das trifft mich, denn ich vermute, dass sie auf mich so reagiert.
Dann höre ich seine Stimme.
    »Jacob?«
    Nach einem Moment drehe ich mich zu ihm um.
    »Hör mal«, sagt August und fährt mit der Stiefelspitze über den
Boden. »Ich weiß, ich war in den letzten paar Tagen etwas grob zu dir.«
    Jetzt sollte ich etwas Verbindliches antworten, um es ihm leichter
zu machen, aber ich tue es nicht. Mir ist nicht besonders versöhnlich zumute.
    »Ich will damit sagen, dass ich es etwas übertrieben habe. Der ganze
Ärger hier, weißt du. Der kann einem ganz schön zusetzen.« Er hält mir die Hand
hin. »Und, wieder Freunde?«
    Nach kurzem Zögern ergreife ich sie. Immerhin ist er mein Boss.
Jetzt, wo ich beschlossen habe zu bleiben, wäre es dumm, gefeuert zu werden.
    »Du bist in Ordnung«, sagt er, drückt mir die Hand und klopft mir
mit der anderen auf die Schulter. »Heute Abend lade ich euch ein, dich und
Marlena. Um es wiedergutzumachen. Ich kenne da einen tollen kleinen Laden.«
    »Was ist mit der Vorstellung?«
    »Eine Vorstellung wäre heute sinnlos. Niemand weiß, dass wir hier
sind. Das hat man davon, wenn man die Route über den Haufen wirft und

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