Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
dabeizuhaben?«,
frage ich.
»Weil er schon sein Leben lang sagen wollte: ›Zügeln Sie Ihre
Pferde! Die Elefanten kommen!‹«, erklärt Clive.
»Ach, zum Teufel«, sagt Joe. »Heutzutage gibt’s keine Pferde mehr,
die man zügeln müsste, und wir haben auch keine Elefanten. Wir haben einen
Elefant.«
»Warum will er das unbedingt sagen?«, frage ich.
Wie auf Kommando drehen sich beide zu mir um.
»Gute Frage«, meint Otis schließlich, obwohl er offensichtlich
denkt, ich hätte einen Hirnschaden. »Weil Ringling das sagt. Aber der hat
natürlich wirklich Elefanten.«
Aus der Ferne beobachte ich, wie August versucht, Rosie zwischen
die Paradewagen einzureihen. Die Pferde springen zur Seite und tänzeln nervös
in ihren Geschirren. Die Fahrer halten die Zügel straff und rufen Warnungen.
Dadurch greift langsam Panik um sich, und wenig später lassen sich die Zebras
und Lamas kaum noch unter Kontrolle halten.
Nach einigen Minuten nähert sich Onkel Al. Er gestikuliert wild
Richtung Rosie und schimpft in einer Tour. Als er endlich den Mund hält, fängt
August an, auch er deutet auf Rosie, fuchtelt mit dem Elefantenhaken und
verpasst ihr obendrein Schläge gegen die Schulter. Onkel Al dreht sich zu
seinem Gefolge um. Zwei von ihnen machen auf dem Absatz kehrt und sprinten über
den Platz.
Wenig später hält der Flusspferdwagen, gezogen von sechs äußerst
skeptischen Percherons, neben Rosie. August öffnet die Tür und prügelt auf
Rosie ein, bis sie in den Wagen steigt.
Kurz darauf fängt jemand an, auf der Dampforgel zu spielen, und der
Umzug beginnt.
Eine Stunde später kehrt er mit einer ansehnlichen Schar zurück.
Die Städter, die durch die Mundpropaganda immer zahlreicher werden, tummeln
sich an den Rändern des Zirkusplatzes.
Rosie wird direkt zur hinteren Seite des Chapiteaus gefahren, das
bereits mit der Menagerie verbunden ist. August führt sie zu ihrem Platz. Erst
als sie hinter ihrem Seil mit einem Bein an einen Pflock gekettet ist, wird die
Menagerie für das Publikum geöffnet.
Beeindruckt beobachte ich, wie sie von Kindern und Erwachsenen
gleichermaßen bestürmt wird. Sie ist mit Abstand das beliebteste Tier. Sie
wedelt mit den großen Ohren, während sie von den begeisterten Zirkusbesuchern
Süßigkeiten, Popcorn und sogar Kaugummi annimmt. Ein Mann wagt es, sich
vorzulehnen und ihr eine Schachtel Cracker Jack in das offene Maul zu schütten.
Zum Dank nimmt sie ihm den Hut ab, setzt ihn sich selbst auf und posiert mit
hoch erhobenem Rüssel. Unter dem Jubel der Menge reicht sie dem entzückten Besucher
seinen Hut zurück. August steht neben ihr, den Elefantenhaken in der Hand, und
strahlt wie ein stolzer Vater.
Hier stimmt etwas nicht. Dieses Tier ist nicht dumm.
Während der letzte Besucher das Chapiteau betritt und die
Darsteller sich zur Parade aufstellen, nimmt Onkel Al August zur Seite. Vom
anderen Ende der Menagerie aus sehe ich, wie August erst entsetzt, dann wütend
reagiert und sich schließlich lautstark beklagt. Mit düsterer Miene wedelt er
mit seinem Zylinder und dem Elefantenhaken. Onkel Al gibt sich völlig
unbeeindruckt. Nach einer Weile hebt er eine Hand, schüttelt den Kopf und geht.
August starrt ihm sprachlos hinterher.
»Was zum Henker war denn das?«, frage ich Pete.
»Weiß der Himmel«, antwortet er. »Aber wir finden es schon noch
schnell genug raus.«
Wie sich herausstellt, ist Onkel Al von Rosies Beliebtheit in der
Menagerie so begeistert, dass er nicht nur auf ihrer Teilnahme am Umzug
besteht, sondern auch auf einer kompletten Elefantennummer im Ring direkt am
Anfang der Vorstellung. Als ich endlich davon erfahre, laufen im Hintergrund
schon hohe Wetten auf den Ausgang der Sache.
Mein einziger Gedanke gilt Marlena.
Ich renne nach hinten, wo sich die Artisten und Dressurtiere hinter
dem Chapiteau für die Parade aufgestellt haben. Rosie ist die Erste in der
Reihe. Marlena sitzt in ihrem rosafarbenen Paillettenkostüm auf Rosies Kopf und
klammert sich an das hässliche, lederne Kopfgeschirr. August links neben ihnen
schließt und öffnet mit grimmiger Miene immer wieder die Hand, in der er den Elefantenhaken
hält.
Das Orchester hört auf zu spielen. Die Artisten zupfen noch einmal
an ihren Kostümen, und die Kutscher sehen ein letztes Mal nach ihren
Schützlingen. Dann setzt die Musik für die Parade ein.
August beugt sich vor und schreit Rosie ins Ohr. Als sie zögert,
schlägt August sie mit dem Elefantenhaken. Daraufhin rennt sie durch
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