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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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Jetzt bin ich nur einen Schritt davon entfernt, ein Obdachloser
zu werden – ein Zirkusarbeiter, der sich nicht ein, sondern zwei Mal in ebenso
vielen Tagen danebenbenommen hat.
    Ich hätte es nicht für möglich gehalten, meine Kotzattacke auf Nell
zu übertreffen, aber genau das ist mir wohl gestern Abend gelungen. Was habe
ich mir nur dabei gedacht?
    Ob sie es August erzählt? Vor meinem inneren Auge blitzt der
Elefantenhaken auf, wie er auf meinen Kopf zurast, gefolgt von der noch
kürzeren Vision, wie ich gleich gehe und mich den Landstreichern anschließe.
Aber ich bleibe, denn ich kann den Gedanken nicht ertragen, Rosie, Bobo und die
anderen im Stich zu lassen.
    Ich werde mich zusammenreißen. Ich werde aufhören zu trinken und
dafür sorgen, dass ich nie wieder mit Marlena alleine bin. Ich werde zur
Beichte gehen.
    Mit einem Zipfel des Kopfkissens wische ich meine Tränen fort. Dann
kneife ich die Augen fest zusammen und rufe mir das Bild meiner Mutter ins
Gedächtnis. Ich versuche, es festzuhalten, doch bald tritt Marlena an ihre
Stelle. Ich sehe sie vor mir, wie sie kühl und distanziert mit wippendem Fuß
die Kapelle beobachtet; wie sie strahlend mit mir über die Tanzfläche wirbelt;
wie sie hysterisch – und dann entsetzt – in der Gasse steht.
    Zuletzt jedoch erinnere ich mich daran, sie zu spüren, an meinen Arm
über ihrem Brustansatz, an ihre weichen, vollen Lippen. Und an das eine Detail,
das ich weder ganz begreifen noch verdrängen kann, das mich bis in den Schlaf
verfolgt: das Gefühl ihrer Fingerspitzen, die über mein Gesicht streichen.
    Kinko – Walter – weckt mich ein paar Stunden später.
    »Hey, Schlafmütze«, sagt er und rüttelt mich wach. »Die Fahne weht.«
    »Okay. Danke«, antworte ich, ohne mich zu rühren.
    »Du stehst ja gar nicht auf.«
    »Du bist ein Genie, weißt du das?«
    Walter schraubt seine Stimme um ungefähr eine Oktave höher. »He,
Queenie – komm her! Komm, Kleines! Hierher, Queenie. Leck ihn fein ab. Ja, mach
fein!«
    Queenie stürzt sich auf meinen Kopf.
    »He, hör auf!«, rufe ich und halte schützend einen Arm hoch, weil
Queenie mir ihre Zunge ins Ohr bohrt und auf meinem Gesicht herumtanzt. »Lass
das! Ist ja gut!«
    Aber sie lässt sich nicht aufhalten. Also setze ich mich auf, und
Queenie fliegt herunter. Walter sieht mich an und lacht. Queenie krabbelt auf
meinen Schoß, stellt sich auf die Hinterbeine und leckt mir Kinn und Hals ab.
    »Brave Queenie. Feines Mädchen«, sagt Walter. »Und, Jacob – du
siehst aus, als hättest du wieder einen … interessanten Abend verbracht.«
    »Kann man so nicht sagen«, entgegne ich. Da Queenie sowieso auf
meinem Schoß hockt, streichle ich sie. Zum ersten Mal lässt sie sich von mir
anfassen. Sie ist warm, ihr Fell fühlt sich drahtig an.
    »Du wirst schon noch trinkfest. Komm mit frühstücken. Das Essen
hilft deinem Magen.«
    »Ich habe nichts getrunken.«
    Er sieht mich einen Augenblick lang an. »Ah«, macht er mit weisem
Nicken.
    »Was soll das denn heißen?«, frage ich.
    »Frauenprobleme«, sagt er.
    »Nein.«
    »Doch.«
    »Nein, stimmt nicht!«
    »Erstaunlich, dass Barbara dir schon verziehen hat. Oder hat sie das
nicht?« Nach einem weiteren Blick auf mein Gesicht nickt er wieder. »Mh-hmm.
Ich glaube, so langsam verstehe ich. Du hast ihr keine Blumen besorgt, oder? Du
solltest wirklich anfangen, auf mich zu hören.«
    »Warum kümmerst du dich nicht um deinen Kram?«, blaffe ich. Dann
setze ich Queenie auf den Boden und stehe auf.
    »Tse. Du bist ganz schön bärbeißig, weißt du das? Na, komm, holen
wir uns was zu futtern.«
    Nachdem wir uns die Teller vollgeschaufelt haben, will ich
Walter zu seinem Tisch folgen.
    »Was zum Teufel soll das werden?«, fragt er und bleibt stehen.
    »Ich dachte, ich setze mich zu dir.«
    »Das geht nicht. Jeder hier hat seinen Platz. Außerdem wäre das ein
Abstieg für dich.«
    Ich zögere.
    »Was ist eigentlich los mit dir?«, fragt er. Er sieht hinüber zu
meinem üblichen Tisch, an dem August und Marlena schweigend und mit auf den
Teller gehefteten Blick essen. Walter blinzelt.
    »Oh, Mann, das kann nicht dein Ernst sein.«
    »Ich hab doch gar nichts gesagt«, antworte ich.
    »Das brauchst du auch nicht. Hör mal, Junge, den Weg darfst du auf
keinen Fall einschlagen, verstehst du? Das meine ich im übertragenen Sinne. Im
wörtlichen Sinne machst du jetzt, dass du an diesen Tisch kommst, und benimm
dich vollkommen normal.«
    Wieder blicke ich zu August und Marlena.

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