Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
Angetan mit einem
dunkelblauen Negligee sitzt sie vor ihrem Schminktisch und raucht eine
Zigarette. Der Ausdruck gelangweilter Verächtlichkeit auf ihrem Gesicht ist
sofort wie weggewischt.
»O mein Gott. Was ist passiert?«, fragt sie, drückt die Zigarette
aus und springt auf. »Hier. Legt sie aufs Bett. Hier, kommt her«, deutet sie
uns hastig.
Nachdem wir Marlena hingelegt haben, dreht sie sich auf die Seite
und umklammert ihre Füße. Ihr Gesicht ist verzerrt, sie beißt die Zähne
zusammen. »Meine Füße …«
»Schsch, Kleines«, sagt Barbara. »Das wird schon. Alles wird gut.«
Sie beugt sich über Marlena, um die Bänder ihrer Schläppchen zu lösen.
»O Gott, o Gott, das tut so weh …«
»Gib mir die Schere aus der obersten Schublade«, fordert Barbara
mich auf.
Barbara schneidet die Spitzen von Marlenas Strumpfhose ab und rollt
sie hoch. Dann legt sie sich die bloßen Füße auf den Schoß.
»Geh zum Küchenbau und hol mir Eis«, sagt sie.
August und sie drehen sich zu mir um und sehen mich an.
»Ich bin schon unterwegs.«
Während ich zum Küchenbau renne, ruft Onkel Al mir hinterher:
»Jacob! Warte!«
Ich bleibe stehen, bis er mich einholt.
»Wo sind sie? Wo sind sie abgeblieben?«, fragt er.
»Sie sind in Barbaras Zelt«, japse ich.
»Wo?«
»Bei der Stripperin.«
»Warum?«
»Marlena hat sich verletzt. Ich muss Eis holen.«
Er dreht sich um und blafft einen seiner Gefolgsleute an. »Du, hol
Eis. Bring es ins Zelt der Stripperin. Los! « Dann
wendet er sich wieder mir zu. »Und du holst unseren verdammten Elefanten
zurück, bevor sie uns aus der Stadt jagen.«
»Wo ist sie denn?«
»Offenbar verputzt sie in irgendeinem Hinterhof Kohlköpfe. Die
Hausherrin findet das nicht lustig. Westlich vom Zirkusplatz. Hol sie da weg,
bevor die Bullen kommen.«
Rosie tastet seelenruhig inmitten eines zertrampelten
Gemüsebeets mit ihrem Rüssel die Reihen ab. Als ich näher komme, sieht sie mir
direkt in die Augen und pflückt einen Rotkohl. Dann lässt sie ihn in ihr
schaufelförmiges Maul fallen, bevor sie nach einer Gurke greift.
Die Hausherrin öffnet die Tür einen Spaltbreit und kreischt:
»Schafft dieses Vieh hier weg! Schafft es weg!«
»Tut mir leid, Ma’am«, sage ich. »Ich gebe wirklich mein Bestes.«
Ich stelle mich neben Rosies Schulter. »Komm mit, Rosie. Bitte, ja?«
Ihre Ohren zucken vor, sie zögert, dann greift sie nach einer
Tomate.
»Nein!«, sage ich. »Böser Elefant!«
Rosie steckt sich die rote Frucht in den Mund und kaut lächelnd. Sie
lacht mich aus, keine Frage.
»Ach Herrje«, seufze ich vollkommen ratlos.
Rosie wickelt ihren Rüssel um ein paar Rübenblätter und reißt sie
aus der Erde. Ohne mich aus den Augen zu lassen, steckt sie sich das Gemüse ins
Maul und kaut. Ich drehe mich mit einem verzweifelten Lächeln zu der Hausfrau
um, die gaffend in der Tür steht.
Vom Zirkusplatz her nähern sich zwei Männer. Der eine trägt einen
Anzug, eine Melone und ein Lächeln im Gesicht. Zu meiner großen Erleichterung
erkenne ich in ihm einen der Flicker. Der andere Mann trägt einen dreckigen
Overall und einen Eimer in der Hand.
»Guten Tag, werte Dame«, sagt der Flicker, tippt sich an den Hut und
stakst vorsichtig durch den zerstörten Garten. Der sieht aus, als hätte ein
Panzer ihn überrollt. Er steigt das Zementtreppchen zur Hintertür hoch. »Wie
ich sehe, haben Sie schon Bekanntschaft mit Rosie gemacht, dem größten und
prächtigsten Elefanten der Welt. Sie haben Glück – normalerweise stattet sie
keine Hausbesuche ab.«
Die Frau lugt immer noch durch den Türspalt. »Was?«, fragt sie
verdutzt.
Mit strahlendem Lächeln antwortet der Flicker: »Aber ja, das ist
wirklich eine Ehre. Ich möchte wetten, keiner Ihrer Nachbarn – ach was, wahrscheinlich
keiner in der ganzen Stadt – kann von sich behaupten, er hätte einen Elefanten
im Hinterhof gehabt. Unsere Leute hier nehmen sie gleich mit, und natürlich
bringen wir Ihren Garten wieder in Ordnung und ersetzen Ihnen den Verlust. Wie
wäre es mit einem Foto von Ihnen und Rosie? Das könnten Sie der Familie und
Freunden zeigen.«
»Ich … ich … Was?«, stammelt sie.
»Ohne aufdringlich sein zu wollen, Ma’am«, sagt der Flicker mit
einer angedeuteten Verbeugung, »vielleicht sollten wir das lieber drinnen
besprechen.«
Nach kurzem Zögern öffnet sich die Tür. Er verschwindet im Haus, und
ich widme mich wieder Rosie.
Der andere Mann steht mit dem Eimer direkt vor ihr. Sie ist hin und
weg.
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