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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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»Tut mir leid«, sagt er.
    »Was meinen Sie mit ›tut mir leid‹?«
    Wie die Aufrichtigkeit in Person sieht er mich an. »Onkel Al möchte
nicht, dass jemand am Saisonende pleite ist. Er behält immer vier Wochen Lohn
ein. Sie bekommen das Geld am Ende der Saison. Nächster! «
    »Aber ich brauche es jetzt.«
    Mit ungerührter Miene antwortet er: »Sie bekommen es am Ende der
Saison. Nächster! «
    Als Walter an das offene Fenster tritt, stapfe ich davon, aber
zuerst spucke ich noch in den Dreck.
    Die Lösung fällt mir ein, während ich Obst für den Orang-Utan
kleinschneide. Wie einen Geistesblitz sehe ich ein Schild vor mir.
    SIE HABEN KEIN GELD?
    HABEN SIE ETWAS ANDERES?
    WIR NEHMEN ALLES!
    Ich laufe wenigstens fünf Mal vor Wagen 48 auf und ab, bevor ich
schließlich einsteige und an die Tür von Privatabteil 3 klopfe.
    »Wer ist da?«, fragt August.
    »Ich bin’s. Jacob.«
    Nach einer kurzen Pause: »Komm rein.«
    Ich öffne die Tür und gehe hinein.
    August steht vor einem Fenster. Marlena sitzt auf einem Plüschstuhl
mit den nackten Füßen auf einer Ottomane.
    »Hallo«, sagt sie errötend. Sie zieht sich den Rock über die Knie
und streicht ihn an den Schenkeln glatt.
    »Hallo, Marlena«, entgegne ich. »Wie geht es dir?«
    »Besser. Ich kann schon ein paar Schritte laufen. Nicht mehr lange,
und ich sitze wieder im Sattel.«
    »Was treibt dich zu uns?«, unterbricht August. »Nicht, dass wir uns
nicht freuen würden, dich zu sehen. Wir haben dich vermisst. Nicht wahr,
Liebling?«
    »Ähm … ja«, sagt Marlena. Als sie mir in die Augen sieht, werde ich
rot.
    »Wo sind nur meine Manieren? Möchtest du einen Drink?«, fragt
August. Sein Blick ist auffallend scharf, er kneift die Lippen zusammen.
    »Nein. Danke.« Seine Feindseligkeit trifft mich unvorbereitet. »Ich
kann nicht bleiben. Ich wollte dich nur etwas fragen.«
    »Und was?«
    »Ich brauche einen Arzt, der zu uns rauskommt.«
    »Warum?«
    Ich zögere. »Das möchte ich lieber nicht sagen.«
    »Ah.« Er zwinkert mir zu. »Ich verstehe.«
    »Was?«, frage ich entsetzt. »Nein. Nicht für so was.« Ich werfe
Marlena einen Blick zu, die sich rasch zum Fenster dreht. »Es geht um einen
Freund.«
    »Ja, aber natürlich doch«, sagt August lächelnd.
    »Nein, wirklich. Und es ist nicht … Hör mal, ich wollte nur wissen,
ob du jemanden kennst. Schon gut, ich gehe in die Stadt und suche selbst.«
Damit will ich gehen.
    »Jacob!«, ruft Marlena mir nach.
    Ich bleibe in der Tür stehen und blicke durch das Fenster auf den
schmalen Gang. Ich atme ein paar Mal tief durch, bevor ich mich zu ihr umdrehe.
    »Morgen in Davenport kommt ein Arzt zu mir«, sagt sie leise. »Soll
ich dich holen lassen, wenn wir fertig sind?«
    »Ich wäre dir sehr verbunden«, sage ich. Ich tippe an meinen Hut und
gehe.
    Am nächsten Morgen brodelt es in der Schlange vor dem
Küchenbau.
    »Das war wegen diesem verdammten Elefanten«, sagt der Mann vor mir.
»Der kann doch sowieso nichts.«
    »Die armen Kerle«, meint sein Freund. »Es ist eine Schande, wenn ein
Mensch weniger wert ist als ein Tier.«
    »Entschuldigung«, werfe ich ein. »Wie meint ihr das, das war wegen
dem Elefanten?«
    Der erste Mann starrt mich an. Er hat breite Schultern und trägt
eine schmutzige, braune Jacke. Mit seinen vielen Falten ähnelt sein
wettergegerbtes, gebräuntes Gesicht einer Rosine. »Weil er so teuer war. Und
dazu haben sie noch den Elefantenwagen gekauft.«
    »Aber worum geht es denn?«
    »Ein paar Männer sind über Nacht verschwunden. Mindestens sechs,
vielleicht auch mehr.«
    »Wie, aus dem Zug?«
    »Genau.«
    Ich stelle meinen halbvollen Teller auf der Warmhalteplatte ab und
gehe in Richtung Fliegende Vorhut. Nach ein paar Schritten fange ich an zu
laufen.
    »He, Kumpel!«, ruft der Mann mir nach. »Dein Essen!«
    »Lass ihn, Jock«, sagt sein Freund. »Wahrscheinlich muss er nach
jemandem sehen.«
    »Camel! Camel, bist du da drin?« Ich stehe vor dem Wagen und
versuche, im muffigen Dunkel etwas zu erkennen. »Camel! Bist du da drin?«
    Keine Antwort.
    »Camel!«
    Nichts.
    Ich wirble herum. »Scheiße!« Ich trete einmal gegen den Schotter,
und dann noch einmal. »Scheiße!«
    Da höre ich ein Quäken aus dem Wagen.
    »Camel, bist du das?«
    Aus einer dunklen Ecke kommt ein ersticktes Geräusch. Ich springe in
den Wagen. Camel lehnt an der Rückwand.
    Er ist bewusstlos, in der Hand hält er eine leere Flasche. Ich beuge
mich über ihn und reiße sie ihm aus der Hand.

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