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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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Zitronendestillat.
    »Wer zum Teufel bist du, und was zum Teufel machst du da?«, höre ich
hinter mir eine Stimme. Ich drehe mich um. Grady steht rauchend in der offenen
Tür. »Oh, hallo. Tut mir leid, Jacob. Hab dich von hinten nicht erkannt.«
    »Hallo, Grady«, sage ich. »Wie geht es ihm?«
    »Schwer zu sagen, seit gestern Abend ist er blau.«
    Camel schnaubt und will sich auf die Seite drehen. Sein linker Arm
fällt ihm schlaff auf die Brust. Er schmatzt einmal und fängt an zu schnarchen.
    »Ich hole heute einen Arzt her«, sage ich. »Behalt ihn bis dahin im
Auge, ja?«
    »Natürlich«, sagt Grady beleidigt. »Was zum Teufel glaubst du, wer
ich bin? Blackie? Verdammt, wer hat ihn wohl letzte Nacht beschützt?«
    »Aber ich halte dich doch nicht für … ach, vergiss es einfach. Hör
mal, wenn er nüchtern wird, sieh nach Möglichkeit zu, dass er so bleibt, okay?
Ich komme dann später mit dem Arzt wieder.«
    Der Arzt hält die Taschenuhr meines Vaters in seiner plumpen
Hand, dreht sie herum und begutachtet sie durch seinen Kneifer. Dann öffnet er
sie, um das Ziffernblatt zu betrachten.
    »Ja. Das reicht. Also, worum geht es?«, fragt er, während er sie in
die Westentasche steckt.
    Wir stehen im Gang direkt vor Augusts und Marlenas Privatabteil. Die
Tür ist noch geöffnet.
    »Wir müssen woanders hin«, sage ich leise.
    Der Arzt zuckt mit den Schultern. »Gut. Gehen wir.«
    Sobald wir draußen sind, wendet der Arzt sich an mich: »Wo soll die
Untersuchung denn stattfinden?«
    »Es geht nicht um mich, sondern um einen Freund. Er hat Probleme mit
seinen Füßen und Händen. Unter anderem. Er sagt es Ihnen, wenn wir da sind.«
    »Ah«, sagt der Arzt. »Mr. Rosenbluth hat angedeutet, Sie hätten
Schwierigkeiten von eher … persönlicher Natur.«
    Die Miene des Arztes verändert sich, während er mir die Gleise
entlang folgt. Als wir die glänzend lackierten Wagen des ersten Abschnitts
hinter uns lassen, wirkt er beunruhigt. Bei den ramponierten Wagen der
Fliegenden Vorhut verzieht er angewidert das Gesicht.
    »Er ist hier drin«, sage ich und springe in den Wagen.
    »Und wie, bitte schön, soll ich dort hineingelangen?«, fragt er.
    Aus dem Schatten löst sich Earl mit einer Holzkiste. Er springt
hinaus, stellt sie vor dem Eingang ab und versetzt ihr einen lauten Klaps. Der
Arzt sieht sich die Kiste an, dann steigt er geziert in den Wagen, seine
schwarze Tasche fest an sich gedrückt.
    »Wo ist der Patient?«, fragt er, kneift die Augen zusammen und sieht
sich um.
    »Hier drüben«, sagt Earl. Camel kauert in einer Ecke. Grady und Bill
warten bei ihm.
    Der Arzt geht zu ihnen. »Etwas Privatsphäre, bitte.«
    Die Männer murren verwundert. Sie gehen zum anderen Ende des Wagens
und recken den Hals, um etwas sehen zu können.
    Der Arzt hockt sich neben Camel. Dabei achtet er darauf, mit den
Knien den Holzboden nicht zu berühren.
    Nach wenigen Minuten richtet er sich auf und sagt: »Ingwerlähmung.
Ganz zweifellos.«
    Zischend sauge ich Luft ein.
    »Was? Was ist das?«, krächzt Camel.
    »Das bekommt man durch das Trinken von Ingwerdestillat.« Das letzte
Wort betont der Arzt besonders. »Oder auch Jake, wie die meisten es nennen.«
    »Aber … Wie? Warum?«, fragt Camel, der verzweifelt versucht, dem
Arzt ins Gesicht zu sehen. »Das verstehe ich nicht. Ich trinke das Zeug seit
Jahren.«
    »Ja. Ja. Das habe ich mir schon gedacht«, sagt der Arzt.
    Mir steigt vor Wut die Galle hoch. Ich stelle mich neben den Arzt.
»Ich glaube, Sie haben die Frage nicht beantwortet«, sage ich so ruhig, wie es
mir möglich ist.
    Der Arzt dreht sich um und mustert mich durch seinen Kneifer. Nach
kurzem Zögern sagt er: »Es wird von einer Kresolverbindung verursacht, die ein
Produzent verwendet hat.«
    »Großer Gott«, sage ich.
    »Ganz recht.«
    »Warum wurde das beigemischt?«
    »Um an den Vorschriften vorbeizukommen, nach denen Ingwerdestillat
ungenießbar gemacht werden muss.« Er wendet sich wieder Camel zu und hebt die
Stimme. »Damit es nicht als alkoholisches Getränk verwendet werden kann.«
    »Geht das wieder weg?« Camels Stimme ist hoch und so angstvoll, dass
sie kippt.
    »Nein. Ich fürchte nicht«, antwortet der Arzt.
    Den anderen hinter mir stockt der Atem. Grady kommt so nah heran,
dass unsere Schultern sich berühren. »Moment mal – soll das heißen, Sie können
nichts machen?«
    Der Arzt richtet sich auf und hakt die Daumen in seine Taschen.
»Ich? Nein. Rein gar nichts.« Seine Miene ist so verkniffen wie die

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