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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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ich … Na ja, ich habe mich wohl gefragt …«
    Sie ist knallrot geworden. Sie ringt wieder die Hände und starrt
angestrengt auf ihren Schoß.
    »Marlena«, sage ich, stehe auf und mache einen Schritt auf sie zu.
    »Es wäre besser, wenn du jetzt gehst«, sagt sie.
    Ich blicke sie nur an.
    »Bitte«, sagt sie, ohne aufzusehen.
    Also gehe ich, obwohl jede Faser meines Körpers dagegen energisch
protestiert.

Fünfzehn
    Tagsüber liegt Camel in seinem Versteck hinter den Truhen
auf ein paar Decken, die Walter und ich als Polster für seine klapprige Gestalt
zurechtlegen. Seine Lähmung ist so stark, dass ich nicht weiß, ob er dort
hervorkriechen könnte, wenn er wollte, aber er hat zu große Angst davor,
geschnappt zu werden, um es zu versuchen. Nachts holen wir ihn hervor, sobald
der Zug fährt, und lehnen ihn in eine Ecke oder legen ihn auf die Pritsche, je
nachdem, ob er lieber sitzen oder weiterhin liegen möchte. Walter besteht
darauf, dass er die Pritsche nimmt, und ich bestehe meinerseits darauf, dass
Walter die Schlafmatte nimmt. Und so schlafe ich wieder auf der Pferdedecke in
der Ecke.
    Nachdem wir kaum zwei Tage zusammengewohnt haben, wird Camels Tremor
derartig stark, dass er nicht einmal mehr sprechen kann. Walter bemerkt es, als
er Camel mittags Essen in den Zug bringt. Es geht dem alten Mann so schlecht,
dass Walter zu mir in die Menagerie kommt, um mir davon zu erzählen, aber vor
Augusts Augen kann ich nicht zum Zug zurückgehen.
    Kurz vor Mitternacht sitze ich neben Walter auf der Pritsche,
während wir auf die Abfahrt des Zuges warten. Sobald er sich in Bewegung setzt,
stehen wir auf und ziehen die Truhen von der Wand.
    Walter kniet nieder, packt Camel unter den Armen und hebt ihn in
eine sitzende Haltung. Dann holt er eine Flasche aus seiner Tasche.
    Als Camel sie sieht, zuckt sein Blick hoch zu Walter. Und dann
steigen ihm Tränen in die Augen.
    »Was ist das?«, frage ich sofort.
    »Was zum Teufel glaubst du wohl?«, sagt Walter. »Schnaps. Richtiger
Schnaps. Gutes Zeug.«
    Camel streckt die zitternden Hände nach der Flasche aus. Walter, der
ihn immer noch aufrecht hält, öffnet sie und hält sie dem alten Mann an die
Lippen.
    Marlena verbringt eine weitere Woche zurückgezogen in ihrem
Privatabteil. Mittlerweile wünsche ich mir so verzweifelt, sie zu sehen, dass
ich überlege, wie ich durch ihr Fenster spähen könnte, ohne entdeckt zu werden.
Zum Glück siegt mein Verstand.
    Jede Nacht liege ich in der Ecke auf meiner muffigen Pferdedecke und
wiederhole in Gedanken unsere letzte Unterhaltung, jedes einzelne, kostbare Wort.
Wieder und wieder gehe ich den schmerzlichen Ablauf durch, von meiner kurzen,
ungläubigen Freude bis zu meinem katastrophalen Untergang. Ich weiß, dass ihr
nichts anderes übrig blieb, als mich zum Gehen aufzufordern, trotzdem kann ich
es kaum ertragen. Schon der Gedanke daran wühlt mich so auf, dass ich mich hin
und her wälze, bis Walter mir sagt, ich solle damit aufhören, er könne so nicht
schlafen.
    Und so vergeht die Zeit. In den meisten Städten bleiben wir
einen Tag, sonntags allerdings verlängern wir oft um einen zweiten Tag. Während
der Fahrt von Burlington nach Keokuk entlockt Walter Camel – mit Hilfe
erklecklicher Mengen Whiskeys – den Namen und die letzte bekannte Adresse
seines Sohnes. An unseren nächsten Stationen macht Walter sich direkt nach dem
Frühstück auf in die Stadt und kehrt erst kurz vor der Vorstellung zurück. Bis
Springfield hat er einen Kontakt hergestellt.
    Zuerst streitet Camels Sohn jede Verbindung ab. Aber Walter ist
hartnäckig. Tag für Tag marschiert er in die Stadt, um per Telegramm zu
verhandeln, und am Freitag darauf willigt Camels Sohn ein, uns in Providence zu
treffen und den alten Mann in seine Obhut zu nehmen. Das bedeutet, wir müssen
die momentane Wohnsituation noch mehrere Wochen lang beibehalten, aber es ist
immerhin eine Lösung. Und damit sind wir schon wesentlich weiter als vorher.
    In Terre Haute stirbt überraschend die Liebliche Lucinda.
Nachdem Onkel Al sich von seiner heftigen, aber kurzlebigen Trauer erholt hat,
organisiert er einen Abschied, der »unserer geliebten Lucinda« würdig ist.
    Eine Stunde nach dem Unterzeichnen der Sterbeurkunde wird Lucinda im
Wasserbehälter des Flusspferdwagens aufgebahrt, der hinter vierundzwanzig
schwarze Percherons mit Federn im Stirnband gespannt wird.
    Onkel Al, der vor Gram zusammenzubrechen droht, steigt zum Kutscher
auf den Bock. Gleich darauf verkündet er mit

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