Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
anstandslos, schütteln die Köpfe und
greifen so kraftvoll aus wie American Saddlebreds.
Ich habe ihre Nummer noch nie gesehen – wer hinter den Kulissen
arbeitet, hat keine Zeit für einen solchen Luxus –, aber dieses Mal kann mich
nichts davon abhalten. Ich sichere Bobos Tür und schlüpfe in den
Verbindungsgang, einen oben offenen Weg zwischen zwei Zeltbahnen, der die
Menagerie mit dem Chapiteau verbindet. Der Mann, der die Karten für die
reservierten Plätze verkauft, sieht kurz auf, stellt fest, dass ich kein
Polizist bin, und wendet sich wieder seiner Arbeit zu. In seinen prall
gefüllten Taschen klimpert das Geld. Ich stelle mich neben ihn und habe einen
Blick quer durch die drei Manegen bis ans andere Ende des Chapiteaus.
Nachdem Onkel Al sie angekündigt hat, tritt sie auf. Sie wirbelt
herum, beide Peitschen hoch in die Luft gereckt. Sie lässt eine knallen und
geht einige Schritte rückwärts. Beide Pferdegruppen stürmen ihr hinterher.
Marlena stolziert in den mittleren Ring, und die Pferde, eine schwarze
und eine weiße stobende Wolke, folgen ihr kraftvoll tänzelnd.
In der Mitte der Manege angekommen, lässt sie eine Peitsche leise
knallen. Die Pferde beginnen, im Kreis durch die Manege zu traben, erst die
fünf Schimmel, dann die Rappen. Nach zwei Runden winkt Marlena mit der
Peitsche. Die Rappen beschleunigen, bis jeder neben einem Schimmel herläuft.
Auf ein weiteres Winken hin bilden sie eine Reihe, sodass immer ein schwarzes
Pferd einem weißen folgt.
Sie bewegt sich nur minimal, ihre rosafarbenen Pailletten schimmern
im hellen Licht. Sie läuft in der Mitte der Manege in einem kleinen Kreis und gibt
mit den Peitschen verschiedene Signale.
Die Pferde ziehen weiter ihre Runden, dabei überholen einmal die
Schimmel die Rappen und dann wieder die Rappen die Schimmel; am Ende wechseln
sich die Farben immer ab.
Sie ruft etwas, und die Tiere bleiben stehen. Auf einen weiteren
Befehl hin drehen sie sich um und stellen ihre Vorderhufe auf die Piste. Dann
laufen sie seitwärts, die Schweife Marlena zugewandt und die Hufe auf der
Umrandung. Erst nach einer kompletten Runde lässt Marlena sie anhalten. Sie
steigen von der Piste und drehen sich zur Mitte. Dann ruft Marlena Midnight zu
sich.
Er ist ein prachtvoller feuriger schwarzer Araber mit einer perfekt
diamantförmigen Blesse auf der Stirn. Sie spricht mit ihm, nimmt beide
Peitschen in eine Hand und hält ihm die andere hin. Er presst sein Maul in ihre
Handfläche, sein Hals ein eleganter Bogen, die Nüstern geweitet.
Marlena tritt zurück und hebt eine Peitsche. Die anderen Pferde
tänzeln auf der Stelle und beobachten sie. Sie hebt die andere Peitsche, deren
Spitze sie vor- und zurückschnellen lässt. Midnight stellt sich auf die
Hinterbeine, die Vorderläufe winkelt er vor der Brust an. Jetzt ruft sie etwas
– das erste Mal, dass sie ihre Stimme erhebt – und geht mit großen Schritten
rückwärts. Das Pferd folgt ihr, es läuft auf seinen Hinterbeinen und schlägt
mit den Vorderhufen aus. Sie hält ihn während einer kompletten Runde um den
Ring aufrecht. Dann bedeutet sie ihm runterzugehen. Nach einem weiteren
mysteriösen Wink mit der Peitsche verbeugt sich Midnight, er senkt sich auf ein
Knie herab, das andere Bein streckt er von sich. Marlena sinkt in einen tiefen
Knicks, und die Menge jubelt. Während Midnight seine Verbeugung hält, hebt Marlena
beide Peitschen und lässt sie schnalzen. Die anderen Pferde vollführen auf der
Stelle eine Pirouette.
Mehr Jubel und Applaus. Mit hochgereckten Armen dreht Marlena sich,
damit jeder im Publikum sie bewundern kann. Dann setzt sie sich elegant auf
Midnights geneigten Rücken. Er steht auf, reckt den Hals und trägt Marlena aus
dem Chapiteau. Die anderen Pferde, jetzt wieder nach Farben gruppiert, drängen
ihr nach, um ihrer Herrin nah zu bleiben.
Mein Herz hämmert so heftig, dass ich trotz der brüllenden Menge das
Blut in meinen Ohren rauschen höre. Mich erfüllt eine unermessliche Liebe.
Als Camel in dieser Nacht von seinem Whiskey völlig
weggetreten ist und Walter auf der Schlafmatte schnarcht, verlasse ich den
kleinen Raum und betrachte die Reihe der Dressurpferde.
Jeden Tag sorge ich für diese Tiere. Ich miste ihre Boxen aus, fülle
Wasser und Futter in ihre Tröge und mache sie für die Vorstellung zurecht. Ich
überprüfe ihre Zähne, kämme ihre Mähnen und taste ihre Beine ab, um zu sehen,
ob sie sich heiß anfühlen. Ich gebe ihnen Leckereien und tätschle ihnen
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