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Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten

Titel: Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Gruen
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August durchforsten Billboard und versuchen bei jedem Halt, über Telefonanrufe und Telegramme eine neue
anzuheuern, aber alle bekannten dicken Damen sind offenbar mit ihrer jetzigen
Anstellung zufrieden oder misstrauisch wegen Onkel Als Ruf. Nach zwei Wochen
und zehn Etappen spricht Onkel Al in seiner Verzweiflung eine äußerst üppige
Frau aus dem Publikum an. Unglücklicherweise stellt sie sich als die Frau des
Polizeipräsidenten heraus, und Onkel Al hat am Ende keine dicke Dame, sondern
ein leuchtend blaues Veilchen und die Auflage, sofort die Stadt zu verlassen.
    Uns bleiben zwei Stunden. Die Artisten ziehen sich umgehend in ihre
Abteile zurück. Die Racklos werden geweckt und laufen umher wie kopflose
Hühner. Onkel Al schwenkt atemlos und mit hochrotem Kopf seinen Stock und
versetzt damit jedem einen Schlag, der für seinen Geschmack zu langsam
arbeitet. Die Zelte werden so rasch abgebaut, dass manche Männer sich darin
verfangen, und dann müssen Arbeiter, die gerade andere Zelte abbauen, sie dort
herausholen, bevor sie unter den riesigen Zeltwänden ersticken oder – was Onkel
Al schlimmer fände – mit ihrem Taschenmesser ein Atemloch hineinschneiden.
    Nachdem alle Tiere verladen sind, ziehe ich mich in den Pferdewagen
zurück. Der Anblick der Städter an den Ausläufern des Zirkusplatzes gefällt mir
nicht. Viele sind bewaffnet, und in meiner Magengrube breitet sich ein ungutes
Gefühl aus.
    Walter ist noch nicht aufgetaucht, und ich laufe vor der offenen Tür
auf und ab und suche mit meinem Blick den Platz ab. Die Schwarzen haben sich
längst in den Waggons der Fliegenden Vorhut versteckt, aber ich bin mir nicht
sicher, ob sich der Mob nicht mit einem rothaarigen Zwerg begnügen würde.
    Eine Stunde und fünfundfünfzig Minuten nachdem wir unseren
Marschbefehl erhalten haben, steht er in der Tür.
    »Wo zum Teufel hast du gesteckt?«, schreie ich.
    »Ist er das?«, krächzt Camel hinter den Truhen.
    »Ja, ist er. Komm endlich rauf.« Ich winke Walter herein. »Der Mob
sieht fies aus.«
    Er rührt sich nicht. Sein Gesicht ist rot, und er ist außer Atem.
»Wo ist Queenie? Hast du Queenie gesehen?«
    »Nein. Warum?«
    Er verschwindet.
    »Walter!« Ich springe auf und laufe ihm zur Tür nach. »Walter! Wo
willst du hin, verdammt? Der Fünf-Minuten-Pfiff war schon.«
    Er rennt geduckt die Gleise entlang, um zwischen die Zugräder zu
sehen. »Komm, Queenie! Komm her!« Er richtet sich auf und bleibt neben jedem
Waggon stehen, er ruft durch die Schlitze im Holz und wartet auf eine Reaktion.
»Queenie! Hierher, Mädchen!« Mit jedem Rufen klingt er verzweifelter.
    Ein Pfiff ertönt, ein langgezogenes Warnsignal gefolgt vom Zischen
und Dampfen der Lok.
    Walters Stimme überschlägt sich, er ist heiser vom Schreien. »Queenie!
Wo zum Teufel bist du? Queenie! Hierher!«
    Weiter vorne springen die letzten Nachzügler auf die Flachwagen.
    »Walter, komm jetzt!«, brülle ich. »Mach keinen Mist. Du musst jetzt
einsteigen.«
    Er ignoriert mich. Mittlerweile hat er die Flachwagen erreicht und
späht zwischen den Rädern hindurch. »Queenie, hierher!«, ruft er. Dann bleibt
er stehen und richtet sich plötzlich auf. Er wirkt verloren. »Queenie?«, fragt
er unsicher.
    »Verdammt«, sage ich.
    »Kommt er jetzt, oder was?«, fragt Camel.
    »Sieht nicht so aus.«
    »Dann hol ihn«, schnauzt er.
    Der Zug fährt abrupt an, die Waggons durchfährt ein Ruck, wenn sich
die jeweilige Kupplung spannt.
    Ich springe auf das Schotterbett und laufe vor zu den Flachwagen.
Walter steht da und sieht Richtung Lok.
    Ich berühre ihn an der Schulter. »Walter, wir müssen los.«
    Er dreht sich mit flehendem Blick zu mir um. »Wo ist sie? Hast du
sie gesehen?«
    »Nein. Komm schon, Walter. Wir müssen jetzt in den Zug steigen.«
    »Ich kann nicht«, sagt er. Sein Gesichtsausdruck ist leer. »Ich kann
sie nicht hier lassen. Ich kann einfach nicht.«
    Der Zug tuckert los und nimmt Fahrt auf.
    Hinter uns drängen die Städter vorwärts, sie sind mit Gewehren,
Baseballschlägern und Stöcken bewaffnet. Ich beobachte den Zug hinter uns so
lange, bis ich die Geschwindigkeit abschätzen kann, zähle mit und bete, dass
ich richtig liege: eins, zwei, drei, vier.
    Dann hebe ich Walter wie einen Mehlsack hoch und werfe ihn in den
Wagen. Er landet krachend und mit einem kurzen Aufschrei auf dem Boden. Ich
renne neben dem Zug her und packe die Eisenstange neben der Tür. Dann lasse ich
mich drei lange Schritte weit mitziehen, nutze den Schwung und

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