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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Blechdosen in der Asche befinden. Es ist nicht gestattet …«
    »Und wo steht das geschrieben?« war Willi, immer noch lächelnd, dazwischengegangen.
    »In der Gemeindesitzung vom Donnerstag zur Sondermüllverordnung wurde noch einmal bekräftigt …«
    »Wo?« fragte Willi, lächelte noch sanfter und sagte dann ganz leise: »Hier hat nur einer was zu sagen: ich. Wir. Sonst keiner.« Alle hatten zugesehen, wie Moritz’ Gesicht sich langsam rötete – es war gar nicht so einfach, einem gestandenen Bauern Aug’ in Aug’ zu widersprechen. »Und so«, fügte Willi hinzu, »so ist es immer schon gewesen. Verstehste?«
    Willis Vorstellung von Recht und Gesetz ließ sich in einem Satz zusammenfassen: Grund und Boden, Flora und Fauna sind dem individuellen bäuerlichen Willen Untertan. Um so verblüffender, daß dieser sortenreine Vertreter bäuerlicher Sturheit vor einem Jahr auf den Ökotrip gegangen war. Auf der Landwirtschaftsausstellung in Pfaffenheim hatte er sie kennengelernt, die Wundertiere aus Schottland: kleine, gehörnte Rinder mit dickem, lockigem, schwarzem bis rotgoldenem Fell, wahre Muster an Ausdauer und Robustheit, Meister des Überlebens. Zwei Monate später hatte er seine ersten Hochlandrinder gekauft und auf die Weide gebracht. Highlander, die Rinder der Zukunft.
    »Tierarztkosten gleich Null«, hatte Willi damals jedem erzählt. Der Kostenfaktor war so ziemlich das stärkste Argument, was man in der Landwirtschaft auffahren konnte. »Die sind kerngesund und winterhart!«
    Das halbe Dorf war nach einer besonders kalten Nacht im letzten Winter auf die Weide gezogen, um nachzuschauen, ob die Tiere auch wirklich sagenhafte 20 Grad Kälte überlebt hatten. Bremer sah das Bild noch vor sich: Die Rinder standen mit Eiszapfen im Zottelfell an der Heuraufe und mampften gelassen, dicht aneinandergedrängt, leise schnaubend und Dampfwölkchen aus den Nüstern pustend.
    In Willis Augen gab es nur gute Argumente für die Tiere. Man mußte keinen Tierarzt bezahlen. Sie brauchten keinen Stall. Sie verbesserten sogar die Weidequalität. Vor allem aber wurden, dank dem Rinderwahnsinn-Skandal, vernünftige Preise für das Fleisch der Bio-Kälber gezahlt. Doch all das zählt im Grunde nicht, dachte Bremer: Der Mann liebt seine Tiere auch so. Ganz ohne Kosten-Nutzen-Kalkül. Was an ein Wunder grenzte.
    »Hast du’s gelesen?« fragte Willi mit plötzlich düsterem Gesicht.
    Paul nickte. Es hatte vor einigen Wochen ganz in der Nähe, in Oberhunden, eine Tragödie gegeben. Ein Zuchtbulle war Amok gelaufen: Erst hatte das Tier den 54 Jahre alten Bauern angefallen und getötet. Die Ehefrau, auf der Suche nach ihrem Mann, fand ihn nach Stunden leblos auf der Weide liegen. Als sie ihm helfen wollte, wurde sie ebenfalls von dem Bullen angegriffen. Rinderwahn? Man hatte lange nichts mehr von neuen Fällen gehört. Und der Bulle war kein gewöhnliches Mastrind, kein Exemplar dieser armen Viecher, denen schon immer alles mögliche zugemutet wurde, was ihr Wachstum beschleunigen und ihr Leben verkürzen sollte: Hormone. Kraftfutter. Tiermehl. Beim Todesbullen handelte es sich um ein schottisches Hochlandrind. Das Bio unter den Rindern. Also eigentlich alles unverdächtig.
    »Es soll eine Eilverordnung aus dem Landwirtschaftsministerium geben«, sagte er. In Wirklichkeit hatte er es heute früh im Radio konkreter gehört: Vom Totalschlachten aller Highlander in Hessen war die Rede gewesen.
    »Mit mir nicht.« Willi hatte ein verdächtiges Glitzern in den Augen. »Zu mir solln die mal kommen. Da läuft nix. Gar nix.«
    Paul verlagerte sein Gewicht vom linken aufs rechte Bein. Willis überschwengliche Liebe zu seinen Viechern machte ihn plötzlich verlegen. Im Grunde war er sich gar nicht sicher, ob es nicht besser war, den Rinderwahn bei jedem neuen Anzeichen systematisch auszurotten, so hart das auch im Einzelfall sein mochte. Hatte das nicht in der Vergangenheit schon geholfen? Er kickte mit dem Fuß die Zigarettenkippe in den Gully, die Willi in Grund und Boden getreten hatte. Besser, er hielt den Mund. Gegen Liebe kann man nicht argumentieren. Liebe, das las man heute in jedem Käseblatt in der Sonntagsbeilage, ist überlebensnotwendig – schon als vorbeugende Maßnahme gegen Bluthochdruck und Herzinfarkt. Warum also nicht Rinder lieben?
    Marianne riß das Küchenfenster auf, das sich zu Pauls Garten hin öffnete. »Willi!« rief sie mit dieser ganz besonderen Härte in der Stimme, die sie für ihren Gatten

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