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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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wohl gerade um die Hausecke gekommen. Dann hatte Müller-Dernau sich in sein Auto gesetzt und war losgefahren.
    »Ich war außer mir«, sagte Müller-Dernau. Eine undefinierbare Stimme am Telefon – eine Funkverbindung, und zwar keine sonderlich gute, das hatte er trotz seiner Panik noch registriert – hatte ihm erzählt, an einer Kreuzung kurz vor Wingarten stehe das Auto von Dana, seiner Tochter. Mit offener Tür. Leer.
    Klar, daß er außer sich war. Müller-Dernau hing mit wahrer Affenliebe an seiner ungeratenen achtzehnjährigen Tochter, einer dunkelhaarigen Schönheit, die Tänzerin werden wollte. Das wußten alle in Wingarten, und es gehörte kein Meisterhirn dazu, um sich auszurechnen, wie man ihn am geschicktesten weglockte. Er hatte verzweifelt nach seiner Tochter gesucht, deren Auto er nicht fand – weder an besagter Kreuzung noch in den Nebenstraßen. Als er endlich zum Weingut zurückgekehrt war, um das Vernünftige zu tun, nämlich die Polizei anzurufen, war sie ihm quietschvergnügt entgegengekommen und wußte von nichts.
    »Ich hatte alles vergessen. Auch dich.« Müller-Dernau war noch immer voller Schuldgefühle. »Und als es mir einfiel, war die Tür zu. Zugeschlossen. Ich muß aus Versehen …«
    »Unsinn«, hatte Panitz ihn unterbrochen. »Oder willst du behaupten, du hättest aus Versehen auch die Ventilatoren ausgeschaltet?« Die schaltete man nicht aus, wenn man mal eben schnell rüber zum Büro und ans Telefon ging. Die hatte irgend jemand ganz bewußt ausgeschaltet.
    »Hast du irgend etwas gesehen, irgend jemanden, etwas Verdächtiges?«
    »Nein!« hatte Müller-Dernau kleinlaut bekannt. Panitz wäre beinahe ungeduldig geworden – der gute Anton konnte doch nicht völlig weggetreten gewesen sein!
    »Aber weißt du, was merkwürdig war?« Im nächsten Moment war Müller-Dernau nicht mehr kleinlaut gewesen.
    »Was?« fragte Panitz. Er hatte gerade begonnen, Gefallen an Antons schlechtem Gewissen zu finden.
    »Was du gesagt hast, als ich die Tür aufgeschlossen hatte und du mir entgegengesunken kamst, wie immer untadelig angezogen, mit deinem schicken Tuch um den Hals – und mit nasser Hose …« Der Winzer hatte für seine Verhältnisse geradezu unverfroren geguckt.
    »Und was«, hatte Panitz gefragt und ihn mit abweisendem Gesicht gemustert, »habe ich gesagt?«
    »›Susi‹ hast du geflüstert.« Jetzt hatte Anton frech gegrinst. »›Susi‹.«
    Panitz stellte die Teetasse abrupt ab. Auch das noch. Er wäre nicht nur fast gestorben. Er hatte sich auch noch lächerlich gemacht.

6
    Klein-Roda in der Rhön
     
    Ein durchdringendes Schreien durchkreuzte den wattewarmen Traum, der Paul Bremer eben noch in Visionen von Liebe und Schönheit gewiegt hatte, und zwang ihn, die Augen zu öffnen: einem milchigen Himmel entgegen und der frischen Landluft, die durch das offene Fenster wehte und ihm Gülledüfte, Schweinegestank und den Geruch von halbvergorener Silage servierte. Im Wohnzimmer unten schlug die Uhr sechs. Es war kalt und ungemütlich, und draußen wütete das Leben. Alles wie gewohnt. Bauer Knöss fuhr Gülle. Willi fütterte seine tobenden Schweine. Die Gänse, die sich Ortsvorsteher Wilhelm vor wenigen Monaten zugelegt hatte, schrien im Chor mit den drei Dorfkötern, die abwechselnd heulten und bellten. Bremer zog sich die Decke über den Kopf. Aber das half nichts. Gegen das morgendliche Pandämonium in Klein-Roda war nicht anzukommen. Nach fünf Minuten warf er die Decke von sich und fügte sich der ländlichen Ordnung: Sie duldete keine Langschläfer.
    Benommen ging er ins Bad. Ein Blick in den Spiegel überzeugte ihn von der Nutzlosigkeit einer Rasur. So lange hielt er diesen Anblick nicht aus. Er ging wieder ins Schlafzimmer, zog sich an, stieg die Treppe hinunter und ließ Wasser für den Tee in den Wasserkocher laufen. Vor der Haustür balgten sich bereits Nachbars Katzen. »Erst ich, dann ihr«, brummte er, goß den Tee auf, ließ ihn ein Weilchen ziehen und trank den ersten Becher im Stehen. Dann holte er eine Dose aus dem Regal und den Dosenöffner aus der Schublade und schloß die Haustür auf. Die Katzenbande warf sich ihm entgegen. Bremer war der beliebteste Dosenöffner der Katzenbevölkerung von Klein-Roda. Dazu gehörte nicht viel. Er war schließlich der einzige.
    Er gähnte, während er auf die verfressenen Kerle hinabblickte, die schmatzend um die beiden Futternäpfe hockten, die er ihnen gefüllt und vorgesetzt hatte. Manchmal war die Fütterung der Raubtiere

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