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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Fessel, die manche nur gewaltsam abschütteln können, dachte er. Menschen haben sich die außerordentlichsten Dinge ausgedacht, um keine Schuldgefühle haben zu müssen. Menschen haben sich umgebracht, weil sie mit ihren Schuldgefühlen nicht leben konnten. Menschen haben auch schon mal aus dem Weg geräumt, was (oder wer) ihnen Schuldgefühle verursachte. Es war eines der elendigsten Gefühle, die Kosinski kannte.
    Und schon deshalb würde er nicht aufgeben, bis er Beate davon überzeugt hatte, daß sie ihre Pflichten nicht versäumte, wenn sie ihren Vater in ein Pflegeheim gab und endlich mit dem eigenen Leben anfing, um das sie noch vor einem Jahr so erbittert gekämpft hatte. Und wenn es ein Leben als Halbtagskraft im Bioladen von Pfaffenheim war. Mittlerweile war ihm alles recht.
    Plötzlich ertappte er sich bei einem Gefühl, das er vor wenigen Minuten noch geleugnet hätte. Er wollte zurück in die Rhön, zurück in sein kaltes, karges Mittelgebirge, weg aus dieser satten Landschaft mit ihrem bürgerlichen Wohlstand, mit dem die Menschen auch nicht besser umzugehen verstanden als die Sturköpfe von Ebersgrund oder Altenzell. Und er wollte endlich wieder ein anständig gezapftes Bier trinken und einen eiskalten Kümmel hinterhergießen. Und dabei Kette rauchen.
    Er seufzte tief auf. Dann wusch er die beiden Kaffeebecher aus und schlurfte die Treppe hoch in das Zimmer im ersten Stock, schräg gegenüber dem elterlichen Schlafzimmer, das Zimmer, in dem Beate und er schon seit Monaten kampierten. Und er wollte auch raus aus diesen vier Wänden, die einst das Kinder-, dann das Teenagerzimmer seiner Frau gewesen waren. Auf die Vorhänge vor den Fenstern waren Sonne, Mond und Sterne aufgedruckt, und er mußte auf einer Liege schlafen, weil in Beates Bett nur eine Person hineinpaßte. Er wollte endlich raus aus dem Kinderzimmer.
    Als er sich angezogen hatte, öffnete er behutsam die Tür zum Schafzimmer seines Schwiegervaters. Der alte Mann lag mit grauem Gesicht in den Kissen, aus dem weit geöffneten Mund drang leises Schnarchen zur Tür hinüber. Beate saß neben ihm auf einem Sessel, hielt die durchsichtigen Greisenfinger in ihrer Hand und war ebenfalls eingeschlafen. Kosinski kämpfte gegen seine Rührung an. Er verstand sie. Er bewunderte ihre Treue. Er mochte den alten Mann. Und dennoch mußte er Beate hier rausholen. Bald.
    Leise zog er die Tür hinter sich zu.

2
    Selbst August M. Panitz sah ein bißchen verloren aus in dem großen, weißen Krankenhausbett, in dem er halb aufrecht in die Kissen gelehnt lag. Aber er wirkte hellwach und wütend. Paul Bremer stand verlegen lächelnd am Fenster, einen Strauß Blumen in der Hand. Kosinski hätte fast gegrinst. War wohl nicht gut angekommen, das Gemüse.
    Karen Stark saß auf dem Hocker neben dem Bett, die Krücken zwischen die Knie geklemmt. Der Bettnachbar von Panitz hatte Kopfhörer über den Ohren und tat, als ob er konzentriert auf den eingeschalteten Fernseher schaute. Dem wird kein Wort von dem entgehen, was hier gesprochen wird, dachte Kosinski und nickte zu Michael hinüber, der die Hände ausbreitete und sein »Da-kann-man leider-gar-nichts-machen«-Gesicht aufsetzte.
    »Erinnern Sie sich denn heute an irgend etwas, das uns weiterhelfen könnte?« Kosinski lehnte sich mit der rechten Schulter an die Wand gegenüber vom Bett. Michael stand an der Tür und schrieb mit.
    »Was glauben Sie wohl, wieviel Leute sich bei Anlässen wie diesem in so einem Keller auf den Füßen stehen!« Panitz hatte die Augenbrauen ungnädig zusammengezogen.
    Kosinski nickte. »Also – Sie haben sich mit Corves gestritten.«
    »Ich? Er hat sich mit mir gestritten!«
    »Sie hatten also Streit. Aber er hat sie nicht körperlich angegriffen?«
    »Das sagte ich doch schon! Er war längst gegangen, als mir jemand …« Panitz schluckte. Er gehörte offenbar zu der Sorte Männer, die mit Krankheit und Verletzung schlecht umgehen konnten.
    »… ein Kellnermesser in die Seite gestoßen hat«, ergänzte Kosinski. »Wer stand denn rechts von Ihnen?«
    »Susanne!« Panitz war ein ausgesprochen schlechtgelaunter Zeuge. »Susanne Eggers! Aber das habe ich Ihnen doch alles schon erzählt.«
    Kosinski nickte wieder. In der Tat. Und Susanne Eggers hatte sich als eine kluge Zeugin erwiesen. »Erst Chevaillier, dann Panitz – das hat mich etwas mitgenommen!« hatte sie gestanden. Das hätte jeden mitgenommen. »Und Panitz – nun ja, ich mag ihn. Er bemüht sich immer sehr um meine

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