Wasser zu Wein
»Du bist der Commissario. Wenn ich in die Bäckerei komme oder beim Schlachter auch nur die Tür aufmache, hören alle Gespräche schlagartig auf, in denen der Name Eva vorkommt.«
Kosinski tätschelte ihre Hand. Es war weder für Beate noch für Thea immer lustig, mit der Polizei unter einem Dach zu wohnen. Unter einer Decke zu stecken, dachte er mit einem Anflug von Sehnsucht nach Beates warmem Körper.
»Panitz hat an seiner Schwester mit einer wahren Affenliebe gehangen – bis sie Lambert heiratete und wegzog.« Beate entzog ihm ungeduldig ihre Hand. »Eva war überhaupt sehr beliebt – solange sie jung, hübsch und blond war.«
Seine Frau klang ein wenig spitz. Kosinski hob die Augenbrauen.
»Sie war die Partylöwin vom Dienst. Immer gut angezogen. Und immer mit einem Schwarm von Verehrern im Kielwasser.«
Frauen, dachte Kosinski. Sie lassen kein gutes Haar aneinander.
»Wahrscheinlich hat sie es mit allen getrieben, damals. Und immer die Unschuld vom Lande gemimt.«
Was war nur in Beate gefahren? Andererseits: Hatte sie nicht Grund genug für Bitterkeit? »Sie hat deine Mutter auf dem Gewissen«, sagte er.
»Und deshalb ziehe ich jetzt über sie her? Quatsch.« Beate schnaubte. »Übrigens hat schon meine Mutter mich vor Eva gewarnt. Das sei kein Umgang für mich.«
Sie stand auf und holte die Kanne aus der Kaffeemaschine. Dann goß sie sich und ihm Kaffee nach. »Ist doch geradezu ein Witz, nicht, daß die beiden ausgerechnet in der katholischen Kirche aufeinandertreffen, in der sich meine Mutter jahrzehntelang jeden Sonntag den Hintern plattgesessen hat, oder?«
Kosinski fand das überhaupt nicht witzig. Und Beates Gesicht erst recht nicht, in dem sich wieder all die alten, widersprüchlichen Emotionen abzeichneten. Manchmal fragte er sich, warum sie ihre Gefühle so gern mit kaltschnäuzigen Sprüchen übertönte. Bevor er etwas sagen konnte, drehte sie den Kopf und lauschte zur angelehnten Küchentür hin. Jetzt hörte er es auch. Beates Vater rief nach seiner toten Frau. Nach Else, die mit Eva gestorben war. Nach der gestrengen Katholikin, die ihm in ihren letzten Lebensjahren die Zigarren und das tägliche Gläschen Wein verboten hatte und die er geliebt haben mußte – über fünfzig Jahre lang.
Er hatte einen Kloß im Hals, als Beate wieder aufstand, sich zu ihm hinunterbeugte, ihn auf die Stirn küßte. Sie waren kein frischverliebtes Pärchen mehr. Aber er wußte, wie sehr er sie liebte – das reichte für mehr als fünfzig Jahre. »Warum machst du nur immer so ein Geheimnis daraus?« pflegte Beate zu sagen, wenn er wieder einmal verlegen genickt hatte auf die Frage, die nur Frauen stellen – und offenbar immer wieder stellen müssen: »Liebst du mich noch?« Natürlich, dachte er und sah ihr hinterher.
Sie schloß die Küchentür hinter sich, leise. Er seufzte auf. Sie mußten reden, sie mußten bald reden – obwohl sie dem Thema, seit er es vor drei Monaten zum ersten Mal angesprochen hatte, geradezu panisch auszuweichen versuchte.
Er hatte einen Pflegeplatz für seinen Schwiegervater gefunden. Sie mußten sich in den nächsten Tagen entscheiden.
»Wir können ihn doch nicht aus seiner vertrauten Umgebung herausreißen!« Beate hatte damals entsetzt aufgeschrien.
Kosinski sah sich um. In der Küche war der alte Herr seit einem Jahr nicht mehr gewesen. So lange schon lag er allein im Schlafzimmer im ersten Stock, im Ehebett, das seine Schwiegermutter Kosinski schon am Tage der Verlobung mit Beate vorgeführt hatte. In dem großen Bett mit dem wuchtigen Rahmen aus Nußbaum sei Beate empfangen und geboren worden – so, wie schon sie dort empfangen und geboren worden sei. »Und in diesem Bett werde ich auch meinen letzten Seufzer tun.« Dem hatte sie ein frommes »So Gott will« hinzugefügt. Gott hatte es anders gewollt.
Kosinski waren solche Offenbarungen peinlich. Er hatte keinen Sinn für soviel Geschichtsbewußtsein. Er war in einem Krankenhausbett geboren und irgendwo in Deutschland empfangen worden – genauer wollte er das auch gar nicht wissen. Sein Vater war nicht im Bett gestorben, und seine Mutter war in einem Sessel entschlafen, der kein Erbstück war, sondern von Ikea stammte. Den hatte er ihr zwei Jahre zuvor geschenkt, damit sie bequem saß beim Fernsehen abends. Nein, er hatte keine Geschichte und keine Wurzeln, und im Prinzip war es ihm gleichgültig, wo er wohnte.
»Gewohnte Umgebung«? Ob sich der alte Herr oft in dieser Küche aufgehalten hatte? Das
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