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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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auf die Krücken gestützt, und schüttelte den Kopf. Zufrieden war sie nicht mit diesen Hypothesen. Der Portier öffnete ihr die Tür und blickte sie fragend an. Sie lächelte dankend zurück und schwang sich durchs Foyer zum Aufzug.
    »Nein«, hörte sie von der Rezeption her sagen. »Hier ist sie auch nicht, Herr Klar.« Karen drückte auf den Knopf neben dem Aufzug. Die junge Frau, die da offenbar mit Sebastian Klar telefonierte, klang verlegen. »Nein. Ich habe sie heute den ganzen Tag noch nicht gesehen.« Der Aufzug hielt. Der gutgekleidete Mann, der herauskam, warf einen erschrockenen Blick auf ihre Krücken und hielt ihr dann die Fahrstuhltür auf. »Ich – weiß es wirklich nicht, Herr Klar«, hörte Karen die junge Frau mit kaum spürbarer Ungeduld in der Stimme sagen, bevor sie die Tür hinter sich zufallen ließ. Dann setzte sich der Aufzug in Bewegung.
    Karen schwang sich durch den langen Flur. Der Himmel war immer verhangener geworden, nur noch mattes Licht fiel durch die bunten Fenster mit der Bleiverglasung. Als sie ihre Tür öffnete, kam ihr durch die offenstehende Balkontür ein Windstoß entgegen. Das Bett war gemacht. Aber im Badezimmer brannte Licht. Nanu, dachte Karen. Normalerweise schlossen Zimmermädchen die Balkontür. Und ließen auch kein Licht an.
    Der Wind blähte den Vorhang vor der Balkontür auf. Sie mußte sich gegen die Tür stemmen, um sie schließen zu können. Dann setzte sie sich in den Sessel am Fenster. Wen suchte Sebastian Klar? Sie legte den Kopf zurück und schloß die Augen.
    Irgendwann drangen Geräusche vom Flur her in ihr Bewußtsein. Irgend jemand knallte die Zimmertüren. Irgend jemand rief etwas. Eine Männerstimme – mehr konnte sie nicht ausmachen. Dann hörte sie eine andere Stimme, die erregt klang. Karen setzte sich auf und griff nach den Krücken, als jemand mit Schwung die Zimmertür öffnete.
    »Wo ist sie?« Sebastian Klars Stimme war vor Erregung ganz rauh.
    »Aber Herr Klar!« Jemand versuchte beruhigend auf ihn einzureden.
    »Kann ich Ihnen helfen, Herr Klar?« Karen wunderte sich nicht zum ersten Mal über die wundersame Wirkung von Höflichkeitsfloskeln. Der Mann in der geöffneten Zimmertür, der sich mit gesträubten Haaren und aufgerissenen Augen vor ihr aufgebaut hatte, fiel sichtlich zusammen.
    »Elisabeth«, sagte er. »Ich suche meine Frau.«
    »Aber Herr Klar!« Karen erkannte in dem Mann, der sich hinter Klar ins Zimmer drängen wollte, den Oberkellner.
    »Schon gut«, sagte sie mit einer beschwichtigenden Handbewegung.
    »Haben Sie Elisabeth gesehen?« Klar rang um Haltung.
    »Nein. Sollte ich?«
    »Sie ist schon den ganzen Morgen verschwunden.«
    Dafür, dachte Karen, konnte es die allerschlichtesten Gründe geben. Wurden alle Ehemänner gleich nervös, wenn die Gattin mal für ein paar Stunden abwesend war?
    »Sie hat die Zimmer nicht überprüft.«
    Das allerdings war schon ein gewichtigerer Grund, sich Sorgen zu machen. »Und wann haben Sie sie zuletzt gesehen?« fragte Karen.
    »Gestern abend.« Die Verzweiflung stand dem Mann im Gesicht geschrieben. »Wir haben uns – gestritten. Sie hatte wieder alle Kerzen in ihrem Zimmer angezündet. Wie in einem Mausoleum. ›Warum machst du das? ‹ habe ich sie gefragt.« Seine Stimme war ein paar Töne höher gerutscht. »Sie hat mich starr angesehen. Keine Miene verzogen. ›Kannst du nicht endlich vergessen?‹ hab ich sie gefragt.«
    »Sie meinen – Ihre Tochter?«
    Klar nickte. »Ich habe gedacht, es sei für Bettine. Aber sie hat ›Du irrst dich‹ gesagt. Und mich wieder so seltsam angestarrt. Und dann ›Es ist für Eva‹ gesagt.«
    Für Eva, dachte Karen. Ach du meine Güte.

4
    Die Weinberge waren ordnungsgemäß an Paul überschrieben worden. Nun gab es nicht mehr viel zu tun. Frieder Wallenstein saß vor dem großen Schreibtisch und hatte die Hände auf den grünen Filz gelegt, der die Schreibtischplatte abdeckte. Vor ihm lag Briefpapier, daneben stand die Silberschale mit Bleistift, Kugelschreiber und seinem alten Füllfederhalter. Jahrelang hatte er ganz vergessen gehabt, wie die Schreibtischoberfläche aussah. Bis vor einigen Monaten hatten sich darauf noch Kalender und Korkenzieher, Zeitschriften und Bankauszüge, Schlüsselanhänger und Versandhauskataloge, Briefe, Rechnungen, Zeitungsausschnitte und Flaschenetiketten gestapelt, nach einer Ordnung, die nur er durchschaute. Er hatte aufgeräumt – die Agenda eines Lebens abgetragen. Jetzt blieb nicht mehr viel. Nur dieses

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