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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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vor seinem Haus. Jochen kam zweimal die Woche mit Wurst und Käse, mit Brot und Sahne, mit Obst und Gemüse vorbei – für die Älteren im Dorf, denen der Weg zu seinem Tante-Emma-Laden in Groß-Roda zu weit war oder die nicht zu dem Supermarkt auf der grünen Wiese hinter Ottersbrunn fahren wollten. Die alte Martha mit ihrer weißen Mähne und den roten Bäckchen stand in der Schlange vor dem Verkaufswagen, die Kinder von den Beckers nebenan, Kevin und Carmen, hatten schrillfarbene Eislutscher in der Hand. Willi ließ sich von Jochen gerade ein Päckchen Tabak und die Bildzeitung reichen, Marianne redete auf Gottfried ein, und als Paul vor seinem Gartentor bremste, kam mit Gekläff Tröllers Terrier herangerast.
    »Wirst du wohl?« Paul hob drohend den Zeigefinger. Er stellte das Rad ans Gartentor und gesellte sich zur Dorfversammlung auf der Straße. Jochen verkaufte das beste Brot weit und breit.
    Alfred, der dünne, aufgeschossene Glatzkopf mit den tiefeingegrabenen Falten zwischen Nase und Kinn, grüßte nicht, guckte ihn von der Seite an und brummelte Unverständliches. Bremer ignorierte ihn. Der alte Zausel war noch unerträglicher geworden, seit seine Frau kurz nach Neujahr gestorben war. »Ihr geht’s da besser jetzt«, hatte Marianne nach ihrem Tod gesagt und wohl den Himmel gemeint, in den die Rosi gekommen sein mußte, wenn es nach dem Ausmaß ihres irdischen Leidens ginge.
    Alfred war »die Hand ausgerutscht«, wie man im Dorf zurückhaltend formulierte – immer, wenn er einen zuviel getrunken hatte. Und das war immer öfter der Fall. Das ganze Dorf hörte und sah es und zweimal waren Marie, die Frau von Gottfried, Ortsvorsteher Wilhelm und Marianne zum Dreiseitenhof der beiden gelaufen und hatten an die Haustür gehämmert und »Aufhören!« gerufen. Aber immer hatte Rosi am nächsten Tag »Er meint es nicht so« gemurmelt. Auch noch, als man ihr die Nase im Krankenhaus hatte richten müssen. Selbst noch, als der Ehemann ihr mit dem Schürhaken das linke Handgelenk gebrochen hatte. Natürlich nicht das rechte, das wäre ja unpraktisch gewesen. Rosi mußte schließlich noch arbeiten können.
    Niemand mochte Alfred. Und dennoch gehörte er dazu, ebenso wie Martha, die Heilige und Irre des Dorfes, die den ganzen Tag über durch die Gegend lief oder radelte, immer in einer mehr oder weniger weißen Kittelschürze mit Rüschen dran, vom Schweinestall der Tröllers zum Backhaus, vom Zigarettenautomaten zum Friedhof, vom Friedhof wieder zu ihrer Wohnung in dem heruntergekommenen Hof am Ortseingang. Immer an Bremers Haus vorbei.
    »Guten Tag, Herr Paul!« sang die alte Martha, schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und schickte ein breites Lachen direkt hinterher.
    »Na, schon zurück?« Gottfried tätschelte den Kopf von Franz, seinem jungen Jagdhund, der zu ihm aufschaute.
    Gottfried, dachte Bremer manchmal, hatte ihn adoptiert. Jedenfalls führte er sich wie eine gluckende Henne auf. Er wußte, wann Paul morgens aufstand und wieviele leere Weinflaschen er wöchentlich zum Glascontainer vor dem Dorfgemeinschaftshaus schaffte. Seine städtischen Freunde bewunderten Bremer dafür, daß er soviel Kontrolle so gelassen über sich ergehen ließ. Aber er genoß das. Für ihn war das Fürsorge.
    »Gibt’s was Neues?« fragte er Willi. Der schüttelte mit dem Kopf und kratzte sich hinter dem Ohr. »Vielleicht ist was in der Post.«
    Fünf Minuten später bog die Post mit Tempo um die Ecke, in einem gelben Polo und in Gestalt von Ernst, dem Brief­träger, der sein Auto vor dem Zigarettenautomaten zum Stehen brachte und mit einer Miene, die noch klassisches deutsches Amtsverständnis ausdrückte, ausstieg.
    »Habt ihr wieder nichts zu tun?« Ernst blickte in die Runde. »Steht ihr wieder nur dumm rum und schwätzt euch das letzte bißchen Verstand aus dem Hirn?«
    Des Postboten Humor war gefürchtet. Niemand verzog auch nur den Mund – nur Alfred lachte.
    »Na wenigstens habe ich euch alle auf einem Haufen erwischt. Der Quelle-Katalog – Martha.« Ernst warf der alten Frau, die erschrocken die Hände hochriß, das schwere Päckchen zu. Gottfried fing den Katalog auf. Sein bitterböser Blick entging dem Postboten.
    »Wieder die Rechnung nicht bezahlt, was?« Ernst hielt Marianne einen Briefumschlag hin, den sie wortlos entgegennahm.
    »Wassn das? Pornokassetten?« Er wog das Päckchen abschätzend auf dem Handteller, bis Willi es ihm wegschnappte. »Irgendwann kriegst du dermaßen eine rein …« Ernst kannte das

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