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Wasser zu Wein

Wasser zu Wein

Titel: Wasser zu Wein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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schon als leere Drohung und reichte ihm einen grauen Behördenumschlag gleich hinterher.
    »Und von welcher Dorfjungfrau hast du dir einen Vaterschaftsprozeß anhängen lassen?« Der Briefträger wedelte mit einem edlen weißen Briefumschlag. Paul war gemeint, der plötzlich lachen mußte, ein unverzeihliches Versehen, wie ihm der strafende Blick von Marianne zu verstehen gab. Schuldbewußt guckte er zurück.
    Ernst legte das Schriftstück mit spitzen Fingern auf einen Stapel anderer Briefe und Zeitungen, die aufgrund ihrer städtischen, ja multikulturellen Herkunft schon immer sein Mißtrauen erweckt hatten, und händigte Bremer den Papierhaufen mit heruntergezogenen Mundwinkeln aus. Der gediegen aussehende Brief, sah Paul zu seiner Verwunderung, kam aus Wingarten. Von der ersten Rechtsanwalts- und Notarskanzlei am Platz.
    Als Willi eine Minute später wie ein Stier aufbrüllte, war Ernst schon in sein Auto gestiegen und verließ mit Fluchtgeschwindigkeit das Dorf. Für Details hatte er sich noch nie interessiert.
    »Ich schieß sie ab! Ich mach sie alle!« Willi hielt den amtlich wirkenden Brief in der Hand und schäumte vor Wut.
    »Wen?« Marianne versuchte, ihrem Mann über die Schulter zu gucken, der mit der linken Hand erregt auf das graue Papier einschlug.
    »Was ist los?« fragte Gottfried.
    »Um Himmels willen!« rief die alte Martha. Halb Klein-Roda scharte sich um Willi, dessen Gesicht immer röter wurde.
    »Sie wollen sie keulen!« Willi war heiser vor Empörung.
    Die Highlander, dachte Paul. Es ist also soweit. Die Nachbarn rückten näher an Willi heran, der noch immer mit dem grauen Blatt Papier wedelte – als ob sie ihn beschützen wollten.
    »Ist das schon ausgemacht?« Ortsvorsteher Wilhelm sah es als Lebensaufgabe an, dem Hang der bäuerlichen Bevölkerung zu Selbstjustiz Schranken zu setzen. »Kann man noch Rechtsmittel einlegen?«
    »Die sollen mir bloß kommen!« knurrte Willi. »Die knall ich ab!«
    »Soll ich mit Pfetter reden?« Der junge Rechtsanwalt aus Ottersbrunn nahm jeden Auftrag an. Das mußte er auch, denn es gab nicht viele: Auf dem Land hielt man Anwälte für völlig entbehrlich.
    »Das bringt doch nichts«, antwortete Willi.
    »Der kostet doch nur.« Marianne hatte den Arm um ihren Mann gelegt.
    »Sie haben doch keinem was getan!« Der alten Martha standen die Tränen in den Augen. Auch sie hatte Paul schon oft bei den kleinen zotteligen Rindern gesehen.
    »So isses!« brummelte Erwin und spuckte in weitem Bogen aus.
    Alle waren betreten. Sogar Kevin und Carmen machten ausnahmsweise mal den Eindruck, als ob sie zu Mitgefühl fähig wären.
    »Ich mache einfach das Gatter auf und laß sie laufen!« sagte Willi. »Dann können die Hosenscheißer vom Veterinärsamt meine Tiere im Wald suchen gehen!«
    »Das hält nicht lange.« Wilhelm guckte zweifelnd.
    Und auch Gottfried schüttelte den Kopf. »Widerstand«, sagte er. »Wir müssen Öffentlichkeit herstellen.«
    Flugblätter verteilen, Demonstrationen organisieren, Mahnwachen abhalten, ergänzte Paul im Stillen und ertappte sich bei einem leisen Grinsen. Gottfried sah zuviel fern. Es war höchst zweifelhaft, ob die Widerstandsformen der Stadt fürs Land taugten. Seine Nachbarn aber, stellte er mit ungläubigem Staunen fest, murmelten zustimmend.
    »Also«, faßte Ortsvorsteher Wilhelm zusammen: »Pfetter stellt einen Eilantrag. Das ist das erste. Willi setzt sich mit allen betroffenen Züchtern in Kreis und Land in Verbindung. Wir brauchen Solidarität. Und drittens« – er hob die Augenbrauen und sah Paul Bremer ins Gesicht, der sich plötzlich irgendwie genierte im Kreise der Dorfgemeinschaft, mit seinen kurzen Fahrradhosen und dem schwarzen Windbreaker und den Fahrradhandschuhen an den Händen – »drittens wird Paul den Kontakt zur Presse herstellen.«
    »Wir werden nicht kampflos aufgeben!« Gottfried schlug sich mit der rechten Faust schwungvoll in die linke Hand. Ortsvorsteher Wilhelm, klein, dürr, unscheinbar und penibel, nickte Paul zu.
    Daß er einen direkten und besonders dicken Draht zu allen Zeitungsredaktionen und Fernsehstudios des Landes hätte, war eine Legende, die entstanden war, nachdem sein erstes Buch nicht nur in der lokalen Presse, sondern auch in jenem Münchner Nachrichtenmagazin freundlich gewürdigt worden war, das man in der Rhön dem Produkt aus Hamburg vorzog. Und als Gast bei zwei Talkshows hatte man ihn auch gesehen. Paul hatte es aufgegeben, den Irrtum zu korrigieren.
    »Okay«, sagte er und

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