Wasser
diese Veränderungen einwirkt.
Grönland wird deshalb aus Gründen, die noch vor wenigen Jahrzehnten als völlig absurd gegolten hätten, auch künftig im Zentrum weltpolitischer Erwägungen stehen. Die Insel bindet in ihrem Eis ungefähr zehn Prozent des globalen Süßwassers. Das Inlandeis kann eine Dicke von bis zu drei Kilometern erreichen und erstreckt sich über eine Fläche, die jener Englands entspricht. In den letzten 10 000 Jahren war die Lage des Grönlandeises stabil. Zuvor war das Eis auf der Erde derart massiv abgeschmolzen, dass der Meeresspiegel um 90 Meter anstieg, und am Ende der letzten Eiszeit erhöhte er sich in 400 Jahren um 20 Meter. 15 Wie stark – oder wie gering – die Weltmeere ansteigen, hängt unter anderem von den Geschehnissen auf Grönland ab und davon, wie sich das Wasser in den Meeren bei steigenden Temperaturen ausbreitet. Somit hält also dieser Außenposten der Zivilisation – und nicht New York, Brüssel oder Peking – den Schlüssel in der Hand, mit dessen Hilfe nicht allein die ferne Vorzeit des Klimas verstanden, sondern auch die Zukunft des Menschen zu großen Teilen vorhergesagt werden kann.
Der UN-Klimarat geht davon aus, dass 500 bis 1000 Jahre vergehen werden, bis das Eis auf Grönland geschmolzen sein wird, und dass der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 um 50 bis 80 Zentimeter ansteigt. Andere halten diese Vorhersagen angesichts unzureichendenempirischen Materials und unvollständiger Modelle für übertrieben. Wissenschaftler der NASA hingegen betonen, dass sich die grönländischen Gletscher weitaus schneller in Richtung Meer ablösen, als die UN vermutet, nämlich bereits in einem Zeitrahmen von 200 Jahren. Einige Forscher in Kalifornien machen auf Satellitenaufnahmen aufmerksam, die zeigen, dass allein zwischen Mai 2004 und April 2006 16 die Verringerung der Eismasse um 250 Prozent fortgeschritten ist, und meinen deshalb, dass das Eis immer schneller schmelzen wird, wohingegen wieder andere behaupten, dass die Dicke des Inlandeises an vielen Stellen zugenommen habe. Die radikalsten Mahner betonen, dass die Zeit nahe sei, in der es nötig werde, in die Rettungsboote zu steigen. Der Meeresspiegel werde um fünf bis sieben Meter ansteigen, und Städte in den USA sowie Inseln im Stillen Ozean würden schon bald unter Wasser stehen. Zweifelsohne tobt ein globaler Kampf um die Deutungshoheit der künftigen Geschehnisse auf Grönland sowie der ungeheuer weitreichenden, politisch-wirtschaftlichen Konsequenzen, die diese auf die Kontinente in der ganzen Welt haben werden.
In der Sermilik-Forschungsstation, die in einem Fjordarm 20 Kilometer nördlich von Tasiilaq liegt, sind ein paar waschechte Grönlandveteranen zu finden. Die Station wurde 1970 erbaut und gehört zur Kopenhagener Universität. Als der Helikopter die letzten Berggipfel überfliegt, entdecke ich die kleine, zwischen Eisbergen und Gletschern eingezwängte Hütte, und gleich davor, auf einem winzigen, von Schnee geräumten Fleckchen, stehen Bent und Niels. Seit einigen Jahrzehnten untersuchen und messen sie fernab der Weltöffentlichkeit die Entwicklung eines der zahlreichen kleineren Gletscher. Einer der beiden verrät mir, dass seine Frau ihn lange Zeit als einen »primitiven Schlammgeografen« bezeichnet habe, da er Jahre seines Lebens damit verbrachte, die Schlammmengen in den Gletscherflüssen auf Grönland zu messen. Mittlerweile jedoch sind die Daten, die über Jahre hinweg mühsam und in aller Stille erhoben wurden, von globalem Interesse. Während die Veteranen in der spartanisch ausgerüsteten Station mit sechs Betten, einem Ofenund einem in die Ecke des Aufenthaltsraumes gequetschten Sofa wohnen, erforschen sie den Mittivakkat-Gletscher. Das Trinkwasser muss aus dem Gletscherbach geholt werden, den man hinter der Hüttenwand glucksen hört. Die beiden sind die erfahrensten Fußsoldaten in einer immer größer werdenden Armee aus Forschern aller Länder, die nach Grönland kommen. Im Licht der warmen Frühlingssonne, die die trockenen Sandbänke am Meer zum Dampfen bringt, finden wir den Pfad, der uns entlang des Schmelzwasserflusses weiter nach oben führt, während sich schiffsgroße Eisberge langsam und majestätisch über den lautlosen Fjord bewegen. Mit Gewehren ausgestattet, um Angriffe von Eisbären abwehren zu können, zeigen mir die Forscher ihre Messstationen im Fluss und führen vor, wie sie die Schneetiefe oben auf dem Eis messen.
»Der Mittivakkat-Gletscher zieht sich pro Jahr um
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