Wasser
Wasserunsicherheit ist nicht zu erwarten, dass ein altes Abkommen unangetastet bleibt, das jene Länder von der Nutzung des Nil ausschließt, aus denen neunzig Prozent seines Volumens kommen – während gleichzeitig der Wasserbedarf in den meisten Gesellschaften steigt und die technologischen Möglichkeiten zur Kontrolle des Wassers gewachsen sind.
Ägyptens seit tausenden von Jahren unbestrittene Position als
die
Wassermacht des Nil wird schon im Laufe der nächsten Jahrzehnte von Staaten herausgefordert werden, die weiter stromaufwärts liegen. Das Bevölkerungswachstum in den anderen Nilstaaten ist sehr groß, und Ägyptens Anteil an der Gesamtbevölkerung entlang des Wasserlaufs wird sich prozentual vermindern. Neue Nilprojekte werden in den Ländern weiter stromaufwärts zur Grundlage des ökonomischen Wachstums und der politischen Stabilität avancieren. Ägypten wird – wie auch immer es seine Sonderstellung hervorheben mag – die Länder weiter stromaufwärts langfristig nicht daran hindern können, immer mehr Nilwasser zu nutzen. Die Länder am Fluss planen sogar Projekte, die weitaus mehr Wasser erfordern, als der Nil auf seinem langen Weg von den Tropen zum Mittelmeer überhaupt mit sich führt.
Spätestens seit der Zeit des wirkmächtigen Muhammad Ali Paschas zu Beginn des 19. Jahrhunderts hat sich Ägypten als natürlicher Herrscher des Niltals betrachtet. Ägypten kontrollierte Teile von Uganda, bis die Briten dort in den 1890er Jahren die Macht übernahmen. Als diese gegen Ende der 1890er Jahre gemeinsam mit den Ägyptern den Sudan besetzten, wurde der Feldzug als »Re-Okkupation« bezeichnet, um zu unterstreichen, dass viele in Ägypten ein historisches Anrecht auf dieses Land zu haben glaubten. Noch in den 1940er Jahren betonte der ägyptische König Faruq I., dass er der »König des Nilwassers« sei, und betrachtete, ebenso wiegroße Teile der ägyptisch-nationalistischen Bewegung, den Sudan als einen naturgegebenen Teil seines Landes. Viele Ägypter sehen ihr Land noch heute als natürlichen und unbestrittenen Herrscher des Niltals und sind daher weder darauf vorbereitet noch willens, sich den Forderungen weniger entwickelter und minder stabiler afrikanischer Staaten zu stellen, die zudem, nach Ansicht der Ägypter, über genügend Regenwasser verfügen, das sie nutzen könnten.
In einem kleinen Café in Assuan treffe ich mich mit einem ägyptischen Wasserexperten, dem ich schon einmal begegnet bin und der über Ägyptens Verwundbarkeit als stromabwärts liegendes Land an diesem großen, von vielen Nationen genutzten Strom redet. Ich kenne ihn nicht gut genug, um zu wissen, was er eigentlich denkt. Doch immer, wenn ich ihn treffe, überkommt mich dasselbe Gefühl: Ich sitze einem Mann gegenüber, der eine besondere Einsamkeit ausstrahlt, die nur verspüren kann, wer Einsicht in fundamentale und schicksalhafte historische Prozesse hat und diese mit niemandem teilen kann oder will. Vermutlich hat er begriffen, was Ägyptens Position am Ende des Stroms langfristig bedeutet. Er muss sich schmerzlich darüber bewusst geworden sein, dass nicht ein Tropfen des Nilwassers aus Ägypten stammt. Darüber jedoch kann er nicht offen reden, denn die ägyptische Öffentlichkeit würde es nicht verstehen. Es könnte dadurch sogar eine aggressive nationalistische Welle ausgelöst werden, die unbedingt verhindert werden muss, wenn man die Zukunft Ägyptens sichern will. Langfristig ist es aber wohl unumgänglich, dass die stromaufwärts gelegenen Staaten ihre Position stärken und sich über ihr Potenzial als Wasserfürsten der Region bewusst werden.
Ich stehe auf dem mächtigen Assuan-Staudamm, der Ägypten nach Ansicht Präsident Gamal Abdel Nassers zu einer Art Japan Afrikas machen und dem Land die volle nationale Souveränität sichern sollte. Der 500 Kilometer lange künstliche See, der sich hinter der Staumauer erstreckt, fungiert seit 50 Jahren als Ägyptens Wasserversicherung. In Ägypten wurde der Nil zu einem Bewässerungskanal umfunktioniert. Unabhängig davon, ob in ÄthiopienDürren oder im Sudan Überschwemmungen herrschen, können die ägyptischen Bauern ihre Felder bisher weitgehend unbekümmert bebauen. Es ist allerdings fraglich, wie lange das noch so bleiben wird und wann der große Konflikt zwischen den Anrainerstaaten aufbricht.
Am Zusammenfluss von Blauem und Weißem Nil
»Wer den Sudan kontrolliert, wird Ägyptens Schicksal bestimmen.« Die Strategen, die die britische Politik im
Weitere Kostenlose Bücher