Wasser
zur Umkehr. Die mittägliche Hitze und Feuchtigkeit sind unerträglich, obwohl ich auf Deck unter einer Plane stehe, um ein wenig Abkühlung durch die Brise zu erhalten, die durch die Bewegung des Bootes entsteht.
Ungefähr die Hälfte der Wassermassen des Weißen Nil verdunstet in diesem Sumpf – einer der Hauptgründe dafür, dass London die Region im Jahr 1898 besetzte. Schon zu jener Zeit wollten die Briten einen Kanal um den Sumpf herumbauen, um so mehr Wasser von den großen afrikanischen Seen zu den Baumwollplantagen in Ägypten zu leiten. Allerdings gelang es ihnen nicht, den Nil zu bändigen, und ihre Vision in die Tat umzusetzen. Ägypten und der selbständige Sudan begannen 1979 mit Ausschachtungsarbeiten für einen ähnlichen Kanal, wie er bald hundert Jahre zuvor geplant worden war, doch das Projekt wurde von einem Bürgerkrieg aufgehalten. Guerillatruppen der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA) entführten und töteten einige der am Bau Beschäftigten.
Die endlose Monotonie des Sumpfes ist wie eine andere Welt im Vergleich zum übrigen Südsudan. Dort spaziere ich durch den Dschungel, laufe in der Nähe von Nimule vor Elefanten weg und begegne in Upper Nile ein paar Löwen. Ich fahre auf holprigen Wegen, trinke in den Pubs von Juba ein Bier und sitze wie alle anderenam Nachmittag auf der Veranda, um den Sonnenuntergang zu bewundern.
Das Tageslicht hier ist blendend weiß, die Hitze extrem. Und doch wohnen Menschen hier: Millionen halbnomadischer Pastoralisten, die ich zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht sehen kann. Erst wenn sich das Nilwasser auf seine Uferbegrenzung zurückzieht und die Trockenperiode einsetzt, folgen Hunderttausende, ja Millionen Menschen mit ihrem Vieh nach. In Hochwasserperioden wie jetzt bewässert der Fluss ein ausgedehntes Weideland, das in der Trockenzeit genutzt wird und die Grundlage für das gesamte Gemeinwesen darstellt. Wie vor hunderten von Jahren, als sie zuerst hierher kamen, leben dann Menschen vom Volk der Dinka und Nuer in ihren Rundhäusern und laufen oft nackt umher, während sie ihre Kühe hüten.
Langsam fährt unser Boot an der Stadt Kodok vorbei – oder Faschoda, wie es früher genannt wurde. Sie liegt ziemlich einsam da, weil sie von riesigen Ebenen eingeschlossen wird. Vor etwa hundert Jahren war dieser Ort ein Zentrum im Kampf der Großmächte um Afrika: Großbritannien und Frankreich gerieten hier in militärische Auseinandersetzungen. Die Franzosen waren allerdings militärisch zu schwach und mussten nachgeben. Die Briten hatten selbst ägyptische Steuerzahler dazu gezwungen, den Feldzug mit zu finanzieren. Im Jahr 1900 herrschte Königin Victoria nun von Uganda im Süden bis zum Mittelmeer im Norden über den Nil.
Doch wieso hatte sich Europa wegen eines Landgebietes im Südsudan am Rande eines großen Krieges befunden? Wenn man die Gegend heute betrachtet, kommt es einem eher wie ein wahnsinniges Abenteuer vor, ein Ausdruck des blinden europäischen Expansionsstrebens in einer Zeit, in der die Idee des Kolonialismus die europäische Öffentlichkeit begeisterte. Die Politik der Großmächte, die auf den Fantasien beruhte, dass es hier Unmengen an Gold und Elfenbein gäbe und dass man bei Faschoda einen Staudamm in den Fluss bauen könne, wurde später als völlig unrealistisch eingeschätzt. Trotzdem ist die Nilpolitik Londons ein frühesBeispiel für das Verständnis der politischen Bedeutung des Wassers sowie dafür, dass es einer übergeordneten Nilstrategie bedarf, wenn man die Region stabil halten will. Der 2011 unabhängig gewordene Südsudan wird dabei künftig ein Wort mitreden wollen.
Dämme und Taufen in Äthiopien
In einer Januarnacht ziehen wir unser Boot vom Ufer des Tanasees, der Hauptquelle des Blauen Nil, auf das Wasser hinaus. Wir sind ganz allein und fühlen uns wie auf dem Meer, denn die Morgendämmerung hat die Konturen des Landes – der See ist 84 Kilometer lang und misst an seiner breitesten Stelle 66 Kilometer – noch nicht erfasst. Wir steuern auf eine Halbinsel zu, auf der eines der vielen Klöster liegt, die vom starken Einfluss der orthodoxen Kirche hier im Hochland zeugen. Am Strand werden wir von einer Gruppe in weiße Decken gehüllter Männer empfangen, die sich leise unterhalten, während sie uns mit Taschenlampen den Weg zwischen den Bäumen hindurch weisen und so dafür sorgen, dass wir die morgenfeuchten, glatten Steine leichter überqueren können.
Hier wird zur Erinnerung an die Taufe Jesu jedes Jahr
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