Wasser
ermöglicht wichtige Einsichten und demonstriert, dass die Frage nach der Verteilung des Wassers ein ewiger Streitpunkt sein wird und sich nicht ein für alle Mal lösen lässt. Das Wassergericht wird als stolze historische Tradition erhalten bleiben, auch wenn es an manchen Tagen eher eine exotische Touristenattraktion darstellt.
Eine Reise zum Nil und in einen
verletzbaren Staat stromabwärts
Jedes Mal, wenn ich über das Nildelta und dann am Fluss entlang in Richtung Kairo fliege, drücke ich meine Stirn ans Fenster, um möglichst viel von der Wüstenökologie zu erblicken. Dabei überrascht mich stets, dass immer der gleiche Effekt folgt: Ich werde aus meiner nordeuropäischen Wasserblindheit herausgerissen. Plötzlich wird mir klar, dass ich in einem Land lebe, in dem Wasser sowohl in der Gesellschaft als auch in der Natur im Übermaß vorhanden ist und daher im Alltag keine besondere Bedeutung hat. Allenfalls stört der Regen immer mal wieder. Das im Übermaß vorhandene Wasser und die Selbstverständlichkeit seiner Verfügbarkeit haben mich und andere Norweger abstumpfen lassen. Doch blicke ich über Ägypten aus dem Flugzeug, sehe ich ein endloses Meer aus grauer, lebloser Wüste unter einem fast immer wolkenlosen Himmel, dann plötzlich einen Fluss, der die Sonnenstrahlen reflektiert, und schließlich einen dünnen Streifen Zivilisation. Ich verspüre eine ungeheure Freude darüber, das Wasser hier, inmitten der Wüste, wieder ganz konkret und deutlich als Quelle des Lebens und als Lebensader einer Gesellschaft wahrnehmen zu können.
Immer, wenn ich nach Kairo komme, die »Mutter aller Städte«, wie Ibn Chaldun sie im Mittelalter nannte, fahre ich zuerst an die Ufer des Nil. Alles andere kann warten: Giseh mit seinen übermenschlichen, größenwahnsinnigen Pyramiden, das fantastische, überlaufene und etwas heruntergekommene Ägyptische Museum mit seinen 120 000 Ausstellungsstücken, der Chan-el-Chalili-Basar, der den Vorstellungen von einem orientalischen Markt sicher am nächsten kommt.
Doch der Nil ist es, was Ägypten ausmacht und seine Voraussetzung bildet – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Nil und Ägypten – Fluss und Wüste, Natur und Zivilisation, Zerstörung und Erschaffung – seit tausenden von Jahren eingehüllt ineine märchenhafte und mythische Aura. »Fließe, Nil! Man opfert dir, / man schlachtet dir Rinder, / man bringt dir große Opfer dar. / Man mästet dir Vögel / und fängt dir Gazellen in der Wüste, / man vergilt dir die Wohltaten.« 36 So sangen die Ägypter an hohen Feiertagen bereits 2000 Jahre vor Christus, wenn die jährliche Nilschwemme das Land erreicht hatte.
Jetzt sitze ich hier mit einer Tasse türkischen Kaffees, habe ein Buch auf dem Schoß liegen und betrachte die sich im Wasser spiegelnden Hochhäuser Kairos. Dabei denke ich an die Bedeutung des Flusses auf seinem langen Weg: Von den zentralafrikanischen Seen kommend, der Wiege jahrhundertealter Königreiche, durchquert er die äthiopische Hochgebirgslandschaft, wo einer seiner Nebenflüsse entspringt, vorbei an den nilotischen Viehnomaden im Südsudan, die weder eine Staatsform noch ein System von Stammesfürsten entwickelten, vorbei an den Pyramiden im Sudan und Ägypten und weiter bis nach Alexandria und ans Mittelmeer.
Der Nil wird für alle Zeiten die Achse sein, um die sich die Entwicklung Ägyptens und der ganzen Region dreht. Im Arabischen wird Kairo
masr
genannt, was sowohl Hauptstadt als auch Land bedeutet, eine Urstadt, die sich in einem ewigen Prozess stetig erneuert, als soziale Parellele zu dem Fluss, der sie erschaffen hat und ihr weiterhin eine Seele geben wird. Seit tausenden von Jahren ist das Leben in Ägypten auf den Nil ausgerichtet. Obwohl es in diesem Wüstenland kaum regnete, war Ägypten die Kornkammer des Römischen Reiches und die Baumwollfarm des britischen Imperiums – dank des Nil und der künstlichen Bewässerung. Ägyptens dynastische Glanzzeit wäre ohne Kontrolle des Nil undenkbar gewesen. Und jede Diskussion über eine Zukunft Kairos oder Ägyptens wird mit dem Nil verbunden sein. Ägypten repräsentiert ein einzigartiges Beispiel für die geopolitische Bedeutung eines Flusses.
Auch die heutigen politischen Führer des Landes müssen sich wie ihre Vorfahren zum Wassermanagement positionieren, stehen allerdings vor Herausforderungen einer gänzlich anderen Größenordnung. Noch vor gut hundert Jahren lebten vier MillionenMenschen in Ägypten. Mehr als diese
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