Wasser
und als wichtigstes jemals in Angriff genommenes Entwicklungsprojekt gefeiert. Dort soll in erster Linie Energie produziert werden, doch der Damm staut auch Wasser auf, das zur landwirtschaftlichen Nutzung gedacht ist.
Noch vor einigen Jahren glaubten die meisten Experten, dass der Damm aufgrund mangelnder Kredite vonseiten der Weltbank niemals gebaut werden könne. Doch mit chinesischer Hilfe konnten die Pläne umgesetzt werden. Interessanterweise hat der Damm, wie um die stets dualistische Rolle des Wassers zu unterstreichen, auch positive Auswirkungen auf Ägypten: Nunmehr wird es noch länger dauern, bevor der Assuan-Stausee vom Nilschlamm in Mitleidenschaft gezogen wird, weil der Fluss diesen stattdessen bereits am Merowe-Damm hinterlässt. Natürlich ist es dennoch ein alarmierendes Zeichen für Ägypten, dass jener enorme Koloss aus Stein und Zement Nilwasser zurückhalten kann, noch dazu in unmittelbarer Nähe zur ägyptischen Wasserbank – dem Assuan-Staudamm. Am deutlichsten wird Ägyptens Verwundbarkeit langfristig allerdings dadurch, dass der Sudan – das Land also, das im Zusammenhang mit der Nilfrage immer Ägyptens Alliierter war – deutlich demonstriert hat, den Nilwasserlauf eigenständig gestalten zu können, ohne ägyptische Zustimmung oder Kontrolle. Der Sudan hat Ägypten also klar angekündigt, dass eine Freundschaft beider Länder lohnenswert scheint. Allerdings war hierfür nicht der geopolitische Aspekt ausschlaggebend für das Regime im Sudan, sondern die Entwicklung des eigenen Landes. Gleichwohl berührt das Projekt den Kern der geopolitischen Situation des Flusses: Sobald ein flussaufwärtsgelegenes Land den Nil zwecks Entwicklung der eigenen Ökonomie ausbauen will, wird dies unmittelbar diplomatische und strategische Folgen haben.
Der Pressechef des Merowe-Projektes kramt ein wenig auf seinem Schreibtisch herum, bevor er einen Bildband über den Sudan hervorzieht, einen Klassiker der Fotogeschichte: das Buch der deutschen Fotografin Leni Riefenstahl mit Motiven aus den Nuba-Bergen. Entschieden schlägt er mit der Faust auf das geöffnete Buch. »Ihr nennt das Kultur, wir nennen es Armut.« Er habe, so sagt er, endgültig genug von der Kritik der westlichen Medien an allen Ausbauprojekten in Afrika, begründet mit vorgeschobenen ökologischen Argumenten. Der Westen wünsche sich nur, dass Afrika unterentwickelt bleibe. Ich versuche, ein Gegenargument vorzubringen, doch er setzt seinen Monolog fort und erneuert seine Kritik an der ästhetisierenden Verehrung der »primitiven« Afrikaner durch den Westen. Er ist ein großer Mann mit einem grobschlächtigen, teilweise von einem langen schwarzen Bart verdeckten Gesicht und in der islamischen Parteihierarchie offensichtlich kein Niemand.
Zu meiner großen Überraschung verbietet er mir den Besuch des Merowe-Damms, anders als der ihm vorgesetzte Minister, mit dem ich zuvor gesprochen und der mir eine schriftliche Genehmigung erteilt hatte, die sogar mit dem Stempel des Ministeriums versehen ist. Trotzdem hege ich durchaus Sympathie für seine Argumente, schließlich ist er ein Modernisierungsanhänger, der die gemeinwirtschaftliche Planung vorantreibt – was vielleicht erklären kann, wieso sich das islamistische Regime im Sudan seit 1989 an der Macht hält. Denn beseelt von einem ähnlich gelagerten, autoritären Modernisierungsdrang hat das Regime in Khartoum jeden regionalen Widerstand gegen das Merowe-Projekt buchstäblich niedergewalzt und an die 50 000 Menschen umgesiedelt, die dort lebten, wo heute nur Wasser ist.
Als ich dann durch die endlosen, landwirtschaftlich genutzten Gebiete zwischen Blauem und Weißem Nil fahre und Felder erblicke, die sich wie ein Flickenteppich vor mir erstrecken, wird mirklar, dass ich hier in kleinem Ausmaß sehe, was die Zukunft des Sudan sein könnte. Das Land könnte seinen gerade erst gewonnenen Reichtum aus der Ölförderung zur Weiterentwicklung nutzen und das strategische Ziel, die Kornkammer der arabischen Welt zu werden, durchaus umsetzen. Doch was wird der inzwischen selbständige Südsudan dazu sagen?
Hier befindet sich der weltgrößte Sumpf. Der eine Fläche von der Größe aller Beneluxländer zusammen hat. Man braucht zwei Tage, um ihn zu durchqueren. Dieser Sumpf oder
sadd
(Barriere), wie er im Arabischen heißt, hinderte vor über zweitausend Jahren die Zenturien Cäsars daran, die Quellen des Nil zu finden, und die europäischen Entdeckungsreisenden des 19. Jahrhunderts zwang er
Weitere Kostenlose Bücher