Wasser
Leben gerufen. Die TisissatWasserfälle, eine der größten Touristenattraktionen Äthiopiens, sind zu einem unbedeutenden, dünnen Strang kraftlosen Wassers reduziert und der einst prächtigen Macht beraubt, die sie bis zum Bau des Kraftwerkes im Jahr 2003 noch hatten.
Von weitaus größerer geopolitischer Bedeutung ist allerdings, was in den Tiefen des äthiopischen Plateaus am Fluss Tekeze – im Sudan Setit – geschehen ist, einem großen Nebenfluss des Nil. Als ich im Jahr 2007 dorthin fliege, also zwei Jahre vor Vollendung des Dammprojektes, kann ich durch das Cockpitfenster des kleinen Flugzeugs erkennen, wie die Flüsse – außerhalb menschlicher Kontrolle – im Laufe von Jahrtausenden tiefe Schluchten in die Landschaft gegraben haben. Das Fluzeug landet in Aksum, wo die angeblichen Originale der Gesetzestafeln Moses’ aufbewahrt werden,die jedes Jahr von den Äthiopiern in farbenfrohen Prozessionen umhergetragen werden. Nach einer Tagesfahrt mit dem Auto nähern wir uns dem großen Damm. In der Ferne erhebt sich das 4600 Meter hohe Simen-Gebirge. Im Angesicht der morgendlichen Sonne, die die Spitzen der Berge erhellt, kann ich gut verstehen, wieso Kaiser Haile Selassi I. die britische Königin Elisabeth II. in diese Landschaft führte, als beide einst auf Picknicktour gingen.
Quer über eine tiefe Schlucht, die den Fluss in seinem engen Lauf gefangen hält, wird eine fast zweihundert Meter hohe Betonwand errichtet. Die Stauanlage soll künftig vier Milliarden Kubikmeter Wasser speichern. Nach einer Autofahrt ins Gebirge hinein kann ich mir das Kraftwerk ansehen. Mit chinesischer Hilfe bauen die Äthiopier hier sowohl das Kraftwerk als auch den höchsten Staudamm Afrikas – ein Sperrwerk, das eine fundamentale Veränderung im regionalen Kräfteverhältnis ankündigt. Denn die technologische Entwicklung wird dazu führen, dass die Karten im Spiel um das Nilwasser neu verteilt werden, da die Länder stromaufwärts inzwischen die Kraft für eigene Staudämme haben.
Als ich über die Absperrung schaue, die mich von der 200 Meter tiefen Schlucht trennt, in der das Fundament des Damms gegossen wird, während chinesische Ingenieure sich über Projektskizzen beugen und Einzelheiten diskutieren, wird mir schlagartig klar, dass im Niltal eine neue Zeitrechnung angebrochen ist.
Langfristig wird die Wasserfrage die politisch-strategische Stellung Äthiopiens gegenüber Ägypten stärken. Der afrikanische Wasserturm wird sich gleichsam erheben, und die Position der Länder stromabwärts wird geschwächt werden. Es ist abzusehen, dass sich der Nil zu einem der vielen internationalen oder multinationalen Wasserläufe entwickelt, bei denen das Kräfteverhältnis zwischen den Anrainerstaaten zu einem andauernden Machtkampf über Kontrolle und Nutzung des Wasser führen wird. Da es immer schwieriger wird, bindende internationale Gesetze für diese Regionen zu verabschieden, weil die tonangebenden Länder unterschiedliche und wechselnde Interessen haben, wird das Recht desStärkeren maßgeblich für den jeweils größeren Spielraum an den betreffenden Wasserläufen sorgen. Die generelle Unsicherheit über das Klima und die künftige Wassersituation wird darüber hinaus viel Unruhe hervorrufen, so dass der Kampf um das Wasser an vielen Flüssen einen übergeordneten Rang bekommen wird.
An einigen Wasserläufen, so im Niltal, wurden multinationale Organe geschaffen, die die Zusammenarbeit bei der Wassernutzung stärken sollen. Es bleibt nur zu hoffen, dass diese eine hydrologische Anarchie und Konflikte zwischen den zehn Anrainerstaaten verhindern können.
Private Wasserfälle an der skandinavischen Regenküste
»In den Dörfern hier haben wir eine Art Zusatzindustrie. Die soll ja für die Zukunft da sein, für die nächste Generation, verstehen Sie?« Der Bauer sitzt auf einem Stein unterhalb seines eigenen Wasserfalls und deutet auf das Kraftwerk, das er gerade baut. Natürlich redet er mit einem gewissen Stolz über seine eigene Schöpfung, aber auch so, als wäre dies das alltäglichste und normalste Phänomen, das es gibt. Dabei ist die Situation für Norwegen recht ungewöhnlich.
Ich befinde mich in einem kleinen Tal unterhalb des größten skandinavischen Gletschers, des Jostedalsbreen. Seit Jahrhunderten symbolisiert er das Abseitige und war lange Zeit nur bekannt für die Geschichte über das Mädchen Jostedalsrypa, das als Einzige in diesem Tal die Pest des 14. Jahrhunderts überlebt haben soll. Heute
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