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Wasser

Wasser

Titel: Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terje Tvedt
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das Timkat-Fest gefeiert. Mit Kerzen in den Händen bewegen sich der Priester und die Mönche durch die Dunkelheit und sprechen ein monoton klingendes Gebet. Während mich die Stimmung und die morgendliche Kälte erzittern lassen, bereiten sich die Mönche auf die Zeremonie am Ufer des Tanasees vor. Dem Gewässer und der Sonne zugewandt, die langsam aufgeht und rotgoldene Strahlen verschickt, segnet der Priester das Wasser, mit dem er eine Messingschale füllt. Reihenweise treten alte und junge Menschen hervor, neigen ihre Köpfe und werden aus der Schale mit Tanawasser aufs Neue getauft.
    Während die Reste des Morgennebels wie ein weicher Teppich über dem rot leuchtenden See liegen und sich die Gruppen der Gläubigen langsam auflösen, um sich den Pflichten des Tages zuzuwenden, stehe ich auf den Steinen am Seeufer und denke an die unzähligen geheimen Dokumente, die ich über die Nutzung des Tanasees – sowohl in hydrologischer als auch in politischer Hinsicht – gelesen habe. Sie belegen seine zentrale Bedeutung für das Verhältnis zwischen London und Kairo, zwischen dem FaschistenBenito Mussolini und der englischen Regierung in der Zeit zwischen den Weltkriegen, zwischen Washington und London im Kampf um Einfluss in der Region zwischen 1927 und 1956 sowie zwischen Moskau und Tel Aviv. Im Kontrast zu dem zeitlosen Ritual, dessen Zeuge ich soeben an einem See geworden bin, der noch immer von der Natur und nicht vom Menschen beherrscht wird, wirkt das geopolitisch-instrumentelle Denken geradezu kindisch und wie eine Farce. Allerdings bezweifle ich nicht, dass der Nil in Zukunft mehr als nur Segnungen brauchen wird, um nicht zu einer Quelle des Konflikts für die ganze Region zu werden.
    Äthiopien ist der Wasserturm des Niltals. Ungefähr neunzig Prozent des Flusswassers stammen von hier. Doch nur wenige Prozent der Fläche Äthiopiens werden künstlich bewässert, und das Land nutzt lediglich fünf Prozent des Wasserkraftpotenzials. Äthiopien, das unter anderem für seine Langstreckenläufer weltbekannt ist, in erster Linie jedoch wegen seiner Dürrekatastrophen, hat mittlerweile mehr Einwohner als Ägypten. Der innenpolitische Druck, Wasser aus dem Nil zur künstlichen Bewässerung der trockenen Gebiete zu entnehmen, wird sich daher immer mehr erhöhen, wenn sich das Land insgesamt weiterentwickeln und politisch stabil bleiben will.
    »In großen Teilen unseres Landes gibt es periodisch auftretende Dürren. Wenn wir die Ressourcen hätten, könnten wir Wasser speichern, unser Land bewässern und unsere Lebensgrundlage sichern.« Der inzwischen verstorbene äthiopische Premierminister Meles Zenawi drückt sich klar aus, als wir ihn zu den äthiopischen Nilplänen befragen und setzt fort: »Doch für das Land, das 85 Prozent des in Assuan vorhandenen Nilwassers generiert, ist nicht ein einziger Liter Wasser vorgesehen. Ganz offensichtlich ist das weder fair noch vertretbar […]. Wenn uns die Ressourcen eines Tages zur Verfügung stehen, werden wir sie nutzen und ein paar weitere Dämme in den Nil bauen. Das wird hoffentlich mit Verständnis, Unterstützung und in Kooperation der stromabwärts gelegenen Länder geschehen. Letzten Endes ist es aber eine Frage unseresÜberlebens, und daher müssen wir unsere eigenen Interessen verteidigen.«
    Wir treffen Meles Zenawi in einem gut bewachten Gebäude auf einer kleinen Anhöhe gegenüber dem Zentrum von Addis Abeba. Er kommt auch auf das historische Abkommen zwischen Großbritannien und Äthiopien aus dem Jahr 1902 zu sprechen, in dem Großbritannien die Unabhängigkeit Äthiopiens anerkannte und dieses die Respektierung der Grenzen des anglo-ägyptischen Sudan zusagte. Meles erklärt, dass das alte Abkommen die Pläne des heutigen Äthiopiens für den Ausbau des Nil nicht stoppen könne. 39
    Äthiopien ist dabei, ein Nilprojekt nach dem anderen in Gang zu setzen, wobei sich die Vorhaben in ihrem Umfang jedes Mal überbieten. Deshalb ist der Blaue Nil bei den Tisissat-Wasserfällen am Ausgang des Tanasees nur noch ein Schatten seiner selbst. Der See bildet die Hauptquelle des Blauen Nil, der wiederum circa 80 Prozent des gesamten Nilwassers in Ägypten ausmacht. Schon die Briten wollten hier einen Damm errichten, was jedoch aufgrund politischer Komplikationen nicht gelang. Inzwischen hat die äthiopische Regierung bei Bahir Dar eine Dammanlage in den Blauen Nil gebaut, der an dieser Stelle aus dem See austritt, und das »Tis Abay II Hydroelectric Project« ins

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