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Wasser

Wasser

Titel: Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terje Tvedt
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einer Landschaft, die keiner anderen ähnelt – sanfte, baumlose Hügelkämme, an denen das Wasser herunterfließt, so dass es beinahe den ganzen Horizont einnimmt; als kämen uns Flüsse direkt aus dem Himmel entgegengeströmt. In der Ferne erkenne ich Teile des mächtigen Kunlun-Gebirges, das die physische Trennlinie zwischen dem Gelben Fluss und dem Jangtse, zwischen dem südlichen und dem nördlichen China darstellt. In der chinesischen Mythologie ist dieser Ort das taoistische Paradies, denn hier soll König Mu der Sage nach den Jadepalast des Huangdi entdeckt haben, des mythischen Gelben Kaisers und Erschaffers der chinesischen Kultur. Wir passieren den Bahnhof Tanggula mit seinem Stationsgebäude, das sich in Konkurrenz zu den fernen Bergen in die Höhe streckt. Es ist die höchstliegende Eisenbahnstation der Welt, 5072 Meter über dem Meer.
    »Sie sitzen hier den ganzen Tag?«, fragt mich der Chef des Zugrestaurants etwas ungeduldig. Er will schließlich Umsatz machen. »Ja, den ganzen Tag«, erwidere ich und bestelle noch ein Nudelgericht, um meinen Platz am großen Panoramafenster behalten zu können. Auf der Karte, die ich zwischen Reisbällchen und Essstäbchen auf dem Restauranttisch ausgebreitet habe, versuche ich, die Flüsse zu identifizieren, und folge ihren Wegen, die sich als blaue Streifen auf der Landkarte über den asiatischen Kontinent ziehen. Die Namen sind verwirrend, denn wie die meisten langen Flüssehat der Jangtse verschiedene Bezeichnungen: Hier heißt er Tuotuo und Tongtian, was so viel bedeutet wie »Fluss, der den Himmel trifft«, während er im Tibetischen Drichu genannt wird, was mit »Fluss des weiblichen Yaks« übersetzt werden kann.
    »Wie kulturell verbohrt und theoretisch begrenzt sind doch die intellektuellen Vorstellungen, wonach die gesellschaftliche Entwicklung unabhängig von der Macht der Geografie verlaufen könnte.« Ich hätte nicht übel Lust, dies durch das ganze Wagenabteil zu rufen, aber hier sitzen nur ein paar Chinesen, die in ihren Zigarettenrauch eingehüllt sind und kein Englisch verstehen.
    Die tibetische Hochebene ist die Quelle der zivilisationsstiftenden großen Flusssysteme: Jangtse und Gelber Fluss. Aber auch Indus, Ganges, Brahmaputra, Saluen und Mekong entspringen hier – Flüsse also, die im Laufe von tausenden Jahren die Geschichte Asiens bestimmt haben und deren wirtschaftliche, kulturelle und politische Bedeutung in China, Indien, Pakistan, Vietnam, Kambodscha, Laos, Thailand, Nepal, Bangladesch, Burma und Bhutan noch zunehmen wird – ganz unabhängig von den Entwicklungen des Klimas.
    Diese Region ist der Schlüssel für die Zukunft großer Teile Asiens. Tibet wird unweigerlich zu einem der wichtigsten strategischen Gebiete werden. Diese Landschaft mit ihrer klaren Luft, ihren blauen Bergen und eisbedeckten Gipfeln, mit ihren kalten, hellgrün leuchtenden Seen und ihrem Wasser, das in unendlich vielen kleinen und großen Nebenflüssen dem Meer entgegenstrebt, erhält eine verhängnisvolle Bedeutung. Vor 40 bis 50 Millionen Jahren kollidierte der indische Subkontinent mit dem Rest der asiatischen Landmasse. Die Gipfelspitzen erhoben sich in den Himmel und schufen eine Landschaft, die im vergangenen Jahrhundert nicht nur durch exotische Reiseberichte, sondern auch durch die Abenteuer Donald Ducks und seiner drei Neffen in der Begegnung mit dem »abscheulichen Schneemenschen« populär wurde. Sie ist zum weltbekannten Symbol für »Schnee und ewiges Eis« geworden. Dieses Eis ist die Wasserbank Asiens – 15 000 Gletscher, deren Gesamtflächeim Himalaja ungefähr 30 000 Quadratkilometer ausmacht. Die Frage, die sich inzwischen die gesamte Menschheit stellt, lautet: Schmelzen die Gletscher, und wenn ja, wie schnell?
    Während die Sonne über den Himmel zieht, blättere ich in meinen Aufzeichnungen des Gesprächs, das ich im Jahr zuvor mit Yao geführt habe, und in den von ihm verfassten Artikeln und Interviews. 6 In jedem Jahr vermindern sich demnach die Gletscher um so viel Wasser, wie der Gelbe Fluss führt. Viele Gletscher werden bereits im Jahr 2035 verschwunden sein, der Rest bis zum Jahr 2100. Die Temperatur ist seit 1950 um ein Grad gestiegen.
    Es heißt, dass nur Historiker mächtiger als Gott seien, weil sie die Vergangenheit verändern können. Doch die Prognosen Yaos und seiner Forscherkollegen können auch die Zukunft entscheidend beeinflussen, denn sie wirken darauf ein, was die globale Gesellschaft mit ihren Milliarden von Menschen

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