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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Tätigkeit, die große Konzentration zu erfordern schien. Wieso schneidet er Fisch mit dem Messer? Die Frau ärgerte sich über ihren Mann und war froh um den Ärger, weil er sie von weit Schlimmerem ablenken konnte, kurze Zeit wenigstens. Vielleicht sollte sie es laut sagen, das mit dem Messer, und mit dem Dozenten zu streiten beginnen, so richtig laut und aggressiv; sie könnte so die allgemeine Aufmerksamkeit von Berger ablenken; alle könnten so tun, als ob sie nichts gehört hätten; jawohl, das war die Lösung, aber als sie den Mund aufmachte, kam der Dozent ihr zuvor.
    »Wer denn, Opa?« fragte er in die Stille hinein, die sich doch in einer Minute mit einem schönen, lauten, aber normalen Krach hätte füllen müssen, sollen …
    »Martha«, sagte Berger. »Ich versteh’ das nicht. Ich hab’ wahrscheinlich nicht alles richtig mitbekommen das letzte Mal. Kam ja auch ganz überraschend, müßt ihr doch zugeben, oder?«
    Er blickte angriffslustig in die Runde. Niemand widersprach. Es gab Fisch und Kartoffeln. Markus schob etwas zum Tellerrand und beobachtete es eingehend.
    »Was ist das?« fragte er.
    Die Frau beobachtete ihren Sohn. Ein schlechter Schauspieler. Aber sie mußte mitmachen, es half nichts.
    »Das kannst du ruhig essen, das ist nur eine braune Stelle.«
    Der Dozent beugte sich zu Markus hinüber. »Zeig her!«
    Die Kartoffel mit der braunen Stelle wurde zum Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Nur Berger ließ sich nicht stören. Er kaute bedächtig und schien gar nicht zu bemerken, was die anderen taten oder sagten.
    »Im Grunde versteh’ ich es ja. Die können in jenen Sphären ja nicht jeden, wann er will, diesen … also diesen Kontakt aufnehmen lassen, nicht wahr? Wäre ja ein fürchterliches Chaos. Also müssen sie fixe Zeiten einführen; Martha kann wahrscheinlich gar nichts dafür.«
    »Ich hab’ mal gehört, braune Stellen soll man nicht essen«, sagte Markus. »Die sind giftig.«
    Der Dozent war nicht dieser Ansicht.
    »Du verwechselst das mit Spargel, mein Sohn. Spargel ist giftig, wenn er braun ist.«
    »Andererseits«, meinte Berger, »wundert es mich, daß sie sich 13 Jahre Zeit gelassen hat.«
    »Der Junge hat recht«, sagte die Frau, »du verwechselst was! Die Triebe an Kartoffeln sind giftig und die grünen Stellen!«
    »Erst 13 Jahre lang keinen Ton, und dann will sie fixe Zeiten einführen. Versteht ihr das?«
    Aber die Frage war rein rhetorisch.
    »Fixe Zeiten einführen. Jeden Dienstag um halb acht. Vielleicht erinnert sie sich noch daran, wann wir immer gegessen haben, nicht wahr?«
    Dicke Tränen rollten über seine Wangen. Er legte die Gabel beiseite.
    »Also ich will ja nicht unkooperativ sein«, meinte der Dozent in versöhnlichem Ton, den er selten anschlug, »aber ich könnte schwören, das mit den braunen Stellen stimmt doch, nur eben bei Spargel …«
    »Wieso hat sie sich nicht gemeldet? Sie hat doch ganz deutlich Dienstag gesagt. Und ich warte und warte …«
    »Du kannst es mir glauben, Papa, es sind Kartoffeln. Und alles ist giftig, was nicht kartoffelfarben ist …«
    »Ich hätte doch so viel zu fragen, versteht ihr? Das muß sie doch wissen, daß ich nicht den Überblick habe wie sie …«
    Berger begann zu schluchzen; es war beim besten Willen nicht mehr möglich, den Kartoffel-Spargel-Krieg fortzusetzen.
    Alle schauten erschreckt auf. Berger schob den Teller weg und ging auf sein Zimmer. Markus steckte schnell die Kartoffel mit der braunen Stelle in den Mund. Sie war schon kalt. Seine Eltern sagten nichts.
    »Er wird sich schon erholen«, meinte Markus. Er kam bei der ganzen Sache nicht richtig mit. Großvater war exzentrisch, und er war froh darüber. Alles wäre so viel langweiliger gewesen ohne Großvater. Keine Wörter, die nur Großvater kannte. Keine rhetorischen Fragen, die nur er stellen konnte. Markus hoffte allerdings, irgendwann diese Kunst noch zu erlernen.
    Vorausgesetzt, Großvater blieb, wo er war – hier in ihrem Haus – und tat, was er sonst immer tat, nämlich nichts. Markus hatte eine Theorie; hing mit der Zeit zusammen. Nur weil Großvater so viel Zeit hatte, konnte er sich an die vergangenen Sachen erinnern. An die Wörter besonders. Erinnern schien ein schwieriges Geschäft zu sein, das Ruhe erforderte, absolute Muße. Daran lag es. Sonst erinnerte sich ja keiner an was. Oder höchstens an Dinge, die gar keiner Erinnerung wert waren. Die Eltern, dachte Markus, würden sich beruhigen. Auch Großvater würde sich beruhigen. Er

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