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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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es sich bei ihm auf diese Art äußert, ist bei seiner technischen Vergangenheit natürlich …«
    »Wieso?«
    Die Frau sah ihn voll an, und er fühlte sich unbehaglich unter diesem Blick. Ein entschlossener und verärgerter Blick. Die war es gewohnt, Untergeordnete anzuschauen. Obwohl es so etwas wie Untergeordnete eigentlich gar nicht geben sollte.
    Dr. Lennart wußte aus seiner Praxis, daß es so etwas leider doch gab und daß er manchmal, leider, dazugehörte. Ich darf mich nicht so gehen lassen, dachte er. Der Schwiegersohn hat Einfluß. Also Vorsicht!
    »Nun, bei manchen älteren Leuten gibt es religiöse Probleme, Sie verstehen? Der Erzengel Gabriel erscheint und gibt Anweisungen …«
    »Sie wollen sagen, daß mein Vater verrückt geworden ist?«
    Das war ein Fehler. Jetzt hatte er sie. Das hätte sie nicht sagen dürfen. Er beglückwünschte sich selber zu seiner klugen Langmut und setzte eine amtlich schmerzliche Miene auf.
    »Also, das will ich nicht gehört haben, meine Liebe, das wollen wir doch ganz schnell vergessen, nicht wahr? Verrückt, was für ein Ausdruck! Sie wissen …«
    »Was ich weiß und was ich nicht weiß, geht Sie einen Scheißdreck an«, sagte sie mit kühler Freundlichkeit. »Was ich zuerst einmal wissen möchte, ist, ob Sie wissen, mit wem Sie eigentlich sprechen. Ein Wort von meinem Mann, und Sie sind die Lizenz los.«
    In einem Teil seines Kopfes überlegte er ganz kühl. Oköphob, extrem ökophob. Schätzungsweise Stufe 9 nach Wassermann – Blondzart. Und immer in diesen Familien, die eigentlich über jeden Verdacht erhaben sein sollten. Und er konnte nichts dagegen tun. Nicht als Psy-Hyg mit Stufe 4. Er hätte auf Stufe 3 beharren sollen, bevor er sich vom Asyl in den Außendienst versetzen ließ. »Aber lieber Dr. Lennart, in Stufe 4 genießen Sie doch schon den Schutz der Geheimhaltung!« Er hatte sich überreden lassen. Was nützte ihm jetzt die Geheimhaltung? Einen Dreck! Nur eine Stufe besser, und diese Frau würde nur ein einziges Mal so mit ihm reden. Aber in einem anderen Teil seines Kopfes sorgte eine andere Instanz dafür, daß ihm der Schweiß ausbrach. Warum nur? Wo doch alles im Sinne der großen Einheit zusammenhängen sollte. Eine Fehlreaktion. Die wußten das; deshalb hatten sie ihm Stufe 3 verweigert.
    »Beruhigen Sie sich doch!« sagte er gepreßt. »Es ist doch nichts …«
    »Und was mich als zweites interessiert, ist die Wahrheit, Doktor.«
    Immerhin nannte sie ihn wieder ›Doktor‹. Das Schlimmste schien vorbei zu sein.
    »Ich will wissen, was mit meinem Vater los ist. Und ich will Klartext, verstehen Sie? Klartext! Kein Soz-Geschwafel, kein Med-Geschwafel, überhaupt kein Geschwafel! Also, ich warte.«
    Er setzte sich. Er mußte sich setzen. Die Knie hielten ihn nicht mehr. Es war ihm gleich, daß sie das wieder aufbringen würde.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er leise. »Und ich glaube, auch sonst weiß es niemand.«
    Sie legte den Löffel so heftig auf den Tisch, daß es knallte. »Was soll das heißen? Ist er nun verrückt oder nicht?«
    Dr. Lennart wand sich auf seinem Stuhl und begann mit den Fingern komplizierte Verschränkungsmuster auszuprobieren. Die Frau war dumm. Noch dümmer, als er angenommen hatte. Aber das nützte ihm nichts. Sie besaß die Möglichkeit, seine Karriere zu ruinieren – obwohl es so etwas wie Karriere auch nicht geben sollte. Jetzt mußte ihm etwas einfallen. Rückzug schien das beste.
    »Es kann sein, daß dieser Fall meine Kompetenz überschreitet. Wenn Sie das glauben, können Sie natürlich jemand … nun … höher Eingestuften hinzuziehen. Ich bezweifle allerdings, daß Ihnen der mehr sagen kann als ich. Es ist einfach noch zu früh für eine abschließende Diagnose. Was ich meine …«
    »Was Sie meinen, interessiert mich einen Dreck. Ich wollte hören, was Sie wissen, Doktor. Und Sie wissen nichts, offensichtlich.«
    Sie lächelte wieder. Dr. Lennart fror.
    »Nun gut«, sagte sie plötzlich, »Sie können gehen.«
    »Wenn ich fragen darf, nehmen Sie nun Ihren Herrn Vater ins Haus, oder …«
    »Ja, ich nehme meinen ›Herrn Vater‹!« Sie äffte ihn nach, was er besonders beleidigend fand. »Oder was haben Sie sich gedacht? Daß ich ihn einer Institution überlasse, die Leute wie Sie beschäftigt? Da müßte ich ja verrückt sein.«
    Dr. Lennart stand auf, verbeugte sich knapp und ging hinaus. Sie war froh darüber. Sie war nahe daran gewesen, ihm eine herunterzuhauen. Er widerte sie an. Berger war nun eine Woche

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