Wassermans Roboter
Berger verfiel im Laufe der Woche in schwere Depressionen; unterbrochen von Phasen heftiger Aktivität. Dann lief er im Haus herum und machte jeden, der gerade da war, mit seiner neuesten Spekulation über die physikalische Natur des Jenseits vertraut. Das war noch schlimmer als das sich Verkriechen und Lamentieren. Durch seine Position war der Dozent gezwungen, Leute zu empfangen, einmal kamen Kollegen; dann wieder Schüler, dann wieder Mitglieder der zahlreichen Gruppen, bei denen er Mitglied zu sein hatte. Vor diesen Leuten hätte sie Berger am liebsten versteckt, aber das gelang nicht. Von den Kursen war er mit Attest freigestellt; die Verantwortlichen hatten Bergers Zusammenbruch als günstige Gelegenheit genutzt, sich von seiner unbequemen Gegenwart für eine bestimmte Zeit und mit etwas Glück für immer zu befreien. Der Dozent wußte das und konnte nichts dagegen tun: Dort saßen Leute, die noch mehr Einfluß hatten als er. Die Lage wurde kritisch, als Berger nur mit Mühe davon abgehalten werden konnte, dem gerade anwesenden Bezirks-Soz-Ing. die Vorzüge des Röhrenprinzips gegenüber dem Transistor in der Jenseits-Kommunikation zu erläutern. Markus mußte ihn durch intensive Erkundigungen nach seiner Großmutter Martha (die er nie kennengelernt hatte) in einen psychisch so stabilen Zustand versetzen, daß Berger darauf mit einem Weinkrampf und Rückzug ins Bett reagierte. Als er wieder aufstand, war der Bezirks-Ing. schon gegangen.
Am Sonntagabend war die Stimmung auf dem Tiefpunkt. Berger hatte beim Essen düster angedeutet, er vermute nun hinter dem nicht mehr zustandegekommenen Kontakt mit seiner Martha Machenschaften der Verwaltung; sollte es am Dienstagabend wieder nicht klappen, werde er sich an die Öffentlichkeit wenden. Eine massive Drohung. Der Dozent sah schon Heerscharen von Berichterstattern aller möglichen Soz-Netzwerke ins Haus stürmen – diese Leute waren immer auf der Suche nach Geschichten mit einem Komm-Touch; also die weinende Frau A, die sich mit ihrem Liebhaber, Herrn B, nicht verträgt (nicht mehr, noch nicht oder schon wieder nicht) und was sagt überhaupt der Ehemann Herr C zu der Sache? Ganz zu schweigen von dessen Freundin, der verständnisvollen Psych-Ing. Frau D. Alles schön und gut und ohne Zweifel wichtig für das richtige kulturelle psychosoziale Klima der Gemeinde, aber nichts für einen Sprachdozenten. ›Aktiv-Tätige‹ hatten ernst und entschlossen zu sein, milde und den Problemen gewachsen; es war nicht denkbar, sie sich in eben diese Probleme verstrickt vorzustellen. Wenn das dennoch vorkam – und kein Mensch hätte das geleugnet – dann wurde der Betreffende einfach zum Passiv-Tätigen zurückgestuft. Natürliche Auslese. Erprobtes, von der Evolution selbst angewandtes grundehrliches Ökoprinzip.
»Was ist«, fragte Markus in die Stille, »wenn wir ihm diese Stimme einfach simulieren?«
Zunächst gab es keine Antwort. Die Frau und der Dozent waren zu tief mit eigenen sorgenvollen Gedanken befaßt.
»Ich meine elektronisch. Wir könnten ein Sampling irgendeiner Stimme machen und ihm die in Bruchstücken in sein Radio spielen.«
Der Dozent war verärgert.
»Du willst ihn darin noch unterstützen, bei diesem Unsinn? Ich hatte gehofft, ihr lernt in der Schule was Vernünftiges, aber ich sehe …«
Die Frau unterbrach ihn.
»Wart mal! Was meinst du, die Stimme simulieren? Das geht doch gar nicht. Oma ist doch tot.«
»Das hab’ ich mir schon überlegt. Wir müßten das natürlich verfremden, so daß man nicht feststellen kann, von wem sie stammt …«
»Es heißt ›mensch‹, nicht ›man‹«, seufzte der Dozent, »das solltest du wissen.«
»Also gut, mensch könnte es nicht mehr unterscheiden, von wem die Stimme kommt. Und dann …«
»Das glaubt er doch nie!«
Markus ließ sich nicht beirren. Er wußte, daß er recht hatte und daß er von technischen Dingen mehr verstand als sein Vater.
»Ich denk’ schon. Er hat ja jetzt schon einen Haufen Theorien, warum sie sich nicht meldet. Was glaubt ihr, wie leicht es ihm fallen wird, ihre veränderte Stimme zu erklären! ›Interdimensionale Störungen‹ oder so was …«
»Was für Störungen?«
»War doch nur ein Beispiel. Wer weiß schon, was mit einer Stimme alles passieren kann auf dem Weg von jenen Bereichen hierher, nicht wahr?«
Markus lächelte. Er war stolz auf seine Idee. Großvater würde jeden Dienstag pünktlich um halb acht vor dem Radio sitzen und eifrig das seltsam verstümmelte
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