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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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in der Klinik. Sie stellten ihn ruhig dort. Zu ruhig. Man konnte nicht erkennen, wie er sich aufführen würde, wenn die Wirkung der Mittel nachließ. Ihr graute davor. Und vor den Auseinandersetzungen mit dem Dozenten. Er mochte ihren Vater nicht; der Dozent fürchtete um seine Stellung. Von einem rein logischen Standpunkt aus war das verständlich. Alle Privilegien verdankten sie dieser Stellung. Am meisten ärgerte es sie, daß für einen Fall wie diesen nichts vorgesehen war. Körperlich war er ja auf der Höhe. Und geistig … Sie erschrak, wenn sie an den Anfall dachte. Sie hatten es für einen Hirnschlag gehalten. Aber er kam gleich wieder zu sich und erzählte von Martha und dem Radio. Ein Leiden; ein echtes Leiden. Nicht bloß so ein Ausrutscher – durch den Tod seines Freundes verursacht. Dieser Trottel hätte sich auch einen anderen Ort zum Sterben aussuchen können. Und dann die Erbschaft, das verfluchte Radio. Die Frau wagte nicht, es einfach beiseite zu schaffen. Sie wußte, daß ihr Vater danach fragen würde, sobald er wieder einen zusammenhängenden Satz formulieren konnte. Sie kannte ihn. Und sie war wütend und enttäuscht über das blanke Nichtwissen dieser Med-Heinis. Sie hatte gehofft, sie würden ihm etwas geben können, irgend etwas ganz Neues, Wirkungsvolles, und er würde nach Hause kommen und sich an nichts erinnern und nicht nach dem Radio fragen, nicht nach Leutold fragen und auch nicht nach Martha fragen.
    Der Screen meldete sich. Jimmys Gesicht erschien; groß und flach, Jimmy war ein Goldstück. Er schien zu wissen, wann sie ihn brauchte.
    »Hallo«, sagte er unsicher.
    Sie lachte und schaltete ihre Seite ein.
    »Keine Angst, ich bin allein! Was sagst du, wenn der Dozent neben mir steht, hast du dir da was überlegt?«
    »Nun, ich hab’ gehört, euer Opa hat so ein altes Radio geerbt, das wollt ich mir mal ansehen …«
    »Woher weißt du das?«
    »Markus hat’s mir erzählt.«
    Ihr Lächeln verschwand.
    »Wirklich eine wunderhübsche Ausrede. Und von mir willst du gar nichts?«
    »Doch schon … schon … natürlich …«
    Er grinste. Es sah idiotisch aus. Schöne Männer sollten nicht lächeln.
    »Ich meine nur, das Radio interessiert mich wirklich, verstehst du, ich habe so was …«
    »Das verdammte Radio geht dich gar nichts an! Und schalt nicht mehr hier rein, wenn nichts ausgemacht ist!«
    Sie ließ ihm keine Zeit mehr für eine Erwiderung und löschte den Screen.
     
    Ihre Befürchtungen betreffend den geistigen Zustand ihres Vaters sollten sich als begründet erweisen. Das Radio war tatsächlich das Erste, was ihn interessierte, als er wieder nach Hause kam. Er fragte schon in der Tür danach und schob verärgert die beiden Pfleger von sich, die versuchten, ihn mit ihrem und seinem Soz-Level angemessenen Fürsorglichkeit herein zu geleiten. Die Frau gab jedem 10 Rechnungseinheiten, damit sie etwas hatten, worüber sie sich wundern konnten. Sonst bekamen sie nie etwas. Trinkgelder waren ebenso begehrt wie offiziell verpönt.
    »Nun setz dich doch erst mal, Papa! Ich hab’ was vorbereitet für dich, ganz frischen Honig …«
    »Laß mich zufrieden mit Honig! Ich kann ihn nicht mehr sehen. Im Spital gab’s das jeden Tag. Er ist mir verleidet. – Ist es oben?«
    Die Frau konnte nur nicken. Mit einem Elan, den sie lange nicht mehr an ihm beobachtet hatte, rannte er die Treppe hinauf. Als sie eine Viertelstunde später mit einem Tablett voll guter Sachen hinaufging, fand sie die Tür verschlossen. Auf Klopfen reagierte er mit Gebrüll.
    Erst gegen halb neun tauchte er wieder auf. Sie sah, daß er entsetzlich schlechter Laune war. Aber wenigstens beteiligte er sich wieder an den Mahlzeiten. Es wäre für alle besser gewesen, wenn sie ihr Abendbrot schweigend eingenommen hätten. Ausgerechnet heute wollte der Dozent sich unterhalten. Er wollte sich mit Berger unterhalten und fragte: »Wie war’s in der Klinik? Hast du dich erholt?«
    Die Frau erwartete einen Ausbruch, aber Berger blieb ruhig und gelassen.
    »Beschissen«, sagte er. »Behandeln einen wie ein Kind. Am Morgen aufs Töpfchen, am Abend aufs Töpfchen, eine richtige Kloorgie. Als ob es das wichtigste im Leben wäre, pünktlich zu scheißen.«
    Der Dozent lachte laut heraus, und Berger lachte mit. Das war noch nie passiert. Gleich darauf zog er wieder ein düsteres Gesicht und sagte: »Sie hat sich heute nicht gemeldet.«
    Es war ganz still am Tisch. Der Dozent schnitt sein Tilapia-Schnitzel in kleine Stücke. Eine

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