Wassermelone: Roman (German Edition)
ich nicht mehr im Sumpf des Elends, doch wurde mir rasch klar, dass diese Befreiung eine gewisse Verantwortung mit sich brachte.
Der gestrige Tag war sehr schön gewesen. Er hatte wirklich Spaß gemacht.
Aber im Leben geht es um mehr als Spaß, kam mir ein Gedanke in die Quere.
Der kleine Mann in meinem Kopf, auf dessen großem Schild normalerweise steht: »Das Ende ist nahe«, verkündete heute: »Im Leben geht es um mehr als Spaß.« Er arbeitet für meine Gewissensabteilung. Ich kann den verdammten Hund nicht ausstehen.
Immer taucht er mit seinem Schild auf und verdirbt mir alles – vor allem beim Einkaufen –, indem er gewichtige Argumente vorbringt wie: »Du hast doch schon vier Paar Stiefel« oder »Wie kannst du es rechtfertigen, für einen Lippenstift zwölf Pfund auszugeben?«
Er verdarb mir den Spaß am Einkaufen vollkommen. Entweder unterließ ich den beabsichtigten Kauf (»Ich denk noch mal drüber nach«, stammelte ich in solchen Fällen, während die Verkäuferin die Stiefel in den Karton zurücklegte und mich mit Blicken durchbohrte), oder ich kaufte, was ich haben wollte, und hatte anschließend ein so schlechtes Gewissen, dass alle Freude daran dahin war.
Jedenfalls erinnerte mich der miese alte Spielverderber jetzt daran, dass es in meinem Leben sehr viel mehr zu tun gab, als in einem Supermarkt herumzuziehen und Kate mit tiefgefrorener Mousse au chocolat bekannt zu machen. Was für ein Wertesystem vermittelte ich ihr da eigentlich?
Oder für meine Familie Abendessen zu machen. Oder mich in den Freund meiner Schwester zu verknallen.
Ich ging mit Kate auf dem Arm ans Fenster. Von dort sahen wir auf den Garten hinunter, den Michael mit so viel Hingabe vernachlässigte.
Ich fühlte mich ungefähr so wie jemand, der im nächsten Augenblick vor ein Erschießungskommando treten muss. Ziemlich schwermütig.
Es war Zeit, dass ich der Wirklichkeit ins Auge blickte. Zeit, erwachsen und verantwortungsbewusst zu werden.
Auf dem Gebiet war ich nie besonders hervorgetreten. Sobald es in meinem Leben den kleinsten Hinweis auf Schwierigkeiten gibt, schließt sich das Verantwortungsgefühl im Badezimmer meines Gehirns ein und weigert sich herauszukommen, ganz gleich, wie gut ihm das Pflichtgefühl zuredet. Reglos bleibt es hinter der verriegelten Tür auf dem Fußboden sitzen, bis alles Angsteinflößende und Bedrohliche vorüber ist.
Ich musste mich mehreren Fragen stellen. Entsetzlichen. Darin ging es um Geld, um das Sorgerecht für unser Kind und um die eheliche Wohnung.
Ich schwöre, es war qualvoll. Bei jedem einzelnen Punkt zuckte mein Gehirn zusammen.
Zum ersten Mal, seit ich James’ Rücken beim Verlassen der Wöchnerinnenstation gesehen hatte, stellte ich mich den praktischen Fragen, die sich aus unserer Trennung ergaben.
Beispielsweise, ob wir unsere gemeinsame Wohnung verkaufen sollten. Ob wir unser Eigentum zu gleichen Teilen zwischen uns aufteilen sollten. Das könnte äußerst unterhaltsam werden.
Würden wir beispielsweise unsere Polstergarnitur in die Mitte des Wohnzimmers zerren, das Sofa durchsägen und jeder eine Hälfte samt herausquellender Schaumstofffüllung nehmen sowie einen passenden Sessel dazu?
Ungefähr in der Art.
Ich wusste wirklich nicht, wie wir das meiste unseres Eigentums hätten aufteilen können, denn es gehörte weder mir noch James. Es gehörte jenem schwer zu fassenden Dritten, der »Wir« hieß.
Es war die Person oder Kraft oder wie auch immer man es nennen will, die aus unser beider Verbindung entstanden und weit mehr als die Summe ihrer Teile war.
Könnte ich doch das fehlende »Wir« finden! Könnte ich ihm nur nachspüren und es damit zurücklocken, indem ich ihm all diese herrlichen Besitztümer anbot. Wie ein grässlicher drittklassiger Quizmoderator.
Hier dieser herrliche Fernseher. Er gehört dir. Bleibst du jetzt? Dann die schöne Einbauküche. Ist sie nicht großartig? Du kannst sie haben, wenn du nur zurückkommst.
Allerdings nehme ich nicht an, dass man bei einem drittklassigen Quiz so etwas wie eine Einbauküche bekommt. Wahrscheinlich kann man da von Glück sagen, wenn es einen Busfahrschein für die Heimfahrt gibt.
Aber es wäre mir wirklich sehr lieb gewesen, so ohne Weiteres das »Wir« zurückbekommen zu können, das aus James und Claire bestand.
Wie schön, wenn es genügt hätte, in den Abendnachrichten einen Reiseruf loszulassen, in dem es etwa hieß: »Das ›Wir‹ von James und Claire, das zuletzt(sagen wir mal) im Gebiet von
Weitere Kostenlose Bücher