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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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seiner Hose drückte. Als sie geendet hatte, nahm er ihre Hand. «Ich werde dir helfen», sagte er mit so gepreßter Stimme, daß sie fast wie ein Pfeifen klang. «Der Himmel weiß, daß ich dir helfen werde, alles tun, was du verlangst, alles   … mein Fleisch geißeln, mir die Augen herausreißen, eine Ader öffnen – willst du den Beweis? Jetzt auf der Stelle? Ich werde es tun, bestimmt. Alles, was du verlangst.» Dann sah er ihr in die Augen, kalt wie ein Messer. «Aber du wirst verstehen   … da muß es ein Quidproquo geben.»
    «Ein was bitte, Sir?»
    «Eine Gegenleistung. Sonst wedelt ja der Schwanz mit dem Hund.»
    Fanny schlug die Augen nieder. «Ich weiß ja, Sir – was hat ein armes Ding wie ich schon sonst zu bieten? Aber Sie brauchen nicht gleich vulgär werden deswegen.»
     
    Am Morgen danach machte Fanny einen Besuch in Newgate. Sie preßte sich ein parfümiertes Taschentuch vor die Nase und folgte dem Schließer die Wendeltreppe hinab ins Verlies. Ihre Schritte hallten wider wie Pistolenschüsse in einem Brunnen. Als die massige Eisentür in den Scharnieren aufschwang, warf sie der Geruch fast um. Drinnen herrschte eine düstere, ranzige Atmosphäre: aus Pfützen stiegen Dämpfe auf, aus den Schatten war Gestöhne zu hören. Behutsam trat sie vorwärts, und ihre Pupillen weiteten sich in dem Dämmerlicht. Schlamm saugte an ihren Schuhen, verwachsene Klauen versuchten sie zu packen, der Gestank nach Urin brannte ihr in den Augen. «He, kleiner Wackelarsch, setz dir mal auf mein Gesicht», kam eine Stimme. «Titten», rief eine andere, «Titten, Titten, Titten!» Eine urtümliche, animalische Angst befiel sie – die Angst davor, lebendig begraben, eingemauert zu sein, in eine Latrine hinabgerissen zu werden, immer tiefer und tiefer in die glitschigen, dampfenden Innereien der Erde,wo Dämonen einem das Fleisch von den Knochen zogen und heulende Bestien einem die Seele aussaugten und in harten schwarzen Bohnen wieder ausschissen. Fanny wich mit einem Schrei zurück, doch der Schließer ergriff sie am Ellenbogen. «Keine Angst, Fräulein», sagte er. «Achten Sie nich auf die   … Sehnse, da is ja schon ihr Freund.»
    Ned war im Delirium, er plapperte von Fischköpfen und Töpfen voll Gold, er saß in seinem eigenen Kot, nackt und zitternd. Ein alter Mann mit gefletschten Zähnen lag tot neben ihm. Fanny drückte dem Schließer eine halbe Crown in die Hand, und er löste die Ketten an Neds Beinen, wickelte ihn in eine Decke und trug ihn hinaus. Später, in einer Privatzelle, säuberte Fanny ihren Geliebten mit einem Essigschwamm und machte ihm heiße Brühe. Sie hielt die dampfende Tasse an seine Lippen und küßte ihn. Er erbrach sich. Sah ihr in die Augen und schien sie nicht zu erkennen. Als der Arzt endlich da war, tropfte ihm der Schweiß herab, und er schlug den Kopf gegen die Wand. «Was hat er, Sir?» flehte Fanny. «Was fehlt ihm denn nur?»
    Der Arzt war siebzig oder achtzig und trug enge Hosen und eine Perücke wie ein junger Dandy. Seine Nasenflügel blähten sich, als er eine Vene im Bein des Patienten öffnete und Ned zur Ader ließ, bis er still lag. «Kerkerfieber», sagte er lakonisch. «Entweder steht er’s durch, oder er krepiert wie ein Hund. Werfen Sie ’ne Münze, wenn Sie’s genau wissen wollen.»
     
    Am nächsten Tag verlangte Lady B. eine Erklärung dafür, daß Fanny auf ihr Klingeln nicht kam. Byron Bount stand mit zusammengeschlagenen Hacken vor ihr auf dem Teppich und sah zu Boden. «Also, sprich schon, Bount – ist das Mädchen immer noch unpäßlich? Soll ich den Doktor kommen lassen?» Bount erwiderte, er bitte die Gnädigste um Verzeihung, aber Fanny sei gar nicht im Hause. «Nicht im – sagtest du, nicht im Haus?» Ja, das habe er gesagt. Aber wowar sie dann? Bount räusperte sich. «Da kann man nur raten, Ma’am.» Das Gesicht von Lady B. erstarrte; von der einfachen Versteinerung durchlief es die vulkanische Phase, dann die metamorphe, und dort machte es keineswegs halt.
    Als Resultat fand Fanny, als sie an jenem Abend mit fleckigem Kleid und schwerem Herzen vom Gefängnis zurückkehrte, auf der Vordertreppe Byron Bount vor, der sie erwartete. Neben ihm lagen zwei Kleiderbündel und ein schlechtes Ölporträt von Fannys Mutter. Byron Bount verschränkte die Arme und sah wie ein Aasgeier auf sie hinab.
    Hatte sie überhaupt eine Wahl?
    «Great George Street», sagte sie zum Kutscher.

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