Wassermusik
die Ohrn an. Hat doch gar kein Sinn, ’n Vabrechen aus Leidenschaft abstreiten – noch dazu eins, wo so wild und mutich war – meine Herrn, den ein oder andern Lord hätt ich auch umlegen solln, wo ich ma ’ne Gelegenheit zu gehabt hab … nee, nee. Die wern dir aufhängen, so sicher wie ’n Bettlaken dreckich wern tut un ’ne Gin-Pulle leer, un wie se dir hängen wern. Wennde ’n guten Rat willst, Kleiner, paß auf: Steck’s weg wie’n Mann und halt denen den nackten Arsch in ihre etepeteten Lawendelparfüm-Fratzn, genau in den Moment, wo se dir hochziehn tun. So isses am bestn.»
«Halt’s Maul, du alter Wirrkopf. Halt’s Maul, oder ich –»
«Erzähl doch mal: Wie haste’s denn gemacht? Hast’n erdrosselt? ’n Messer in die Rippen gerammt? Oder haste die degennarierte Tunte ganz einfach eins auf die Rübe gekloppt? Häh?»
Ned antwortet nicht. Was ihm in den letzten Stundenalles widerfahren ist, wird ihm erst jetzt langsam mit voller Wucht bewußt, es lastet im Magen, und die in ihm aufsteigende Unruhe trocknet seine Kehle aus. Mit dem Durchbrennen ist es aus, kein Gasthaus in Holland, keine Fanny … und für die kommenden sechs Wochen ist kein einziger Gerichtstermin angesagt, wo er seinen Fall vorbringen könnte. Bis dahin wird er an dem Gestank verreckt sein. Mit einem bißchen Geld kann es im Gefängnis gar nicht so übel sein. Man kriegt eine eigene Zelle, ein Feuer, Fußeisen so leicht wie Vorhangschnüre – und auch die nur über Nacht. Man kann sich Mahlzeiten kommen lassen, eine Flasche, eine vollbusige Hure und die Kumpels von draußen für ein nettes Abendessen und zum Kartenspiel, Jongleure und eine Kapelle mieten, Katzen halten, Tabak schnupfen, Genever trinken und sich das Bett mit Seide beziehen. Aber wer ohne einen Penny in den Knast kommt, den ziehen sie bis auf Letzte aus und werfen ihn ins übelste Loch, wo Tag und Nacht eins sind und das Essen aus altbackenen Brotrinden besteht, zum Hinunterspülen eine Tasse abgestandenes Wasser, das riecht und schmeckt wie Ochsenpisse.
«In ’nem Schweinetrog hätt ich’n ersäuft», sagt der Wirrkopf. «Oder kann sein, ich hätt ’n an so ’n Pfahl gebunden und mit ’ner Reitpeitsche vadroschen, bis ihm die Knochen aus seine arrissokratiche Haut rauskucken.»
Mendoza. Der hatte die Idee. Er brachte Smirke und den jungen Stutzer dazu, gegen ihn auszusagen, und dann legte er los mit Reden und Bestechen, und noch mehr Reden und Bestechen, bis der Richter einwilligte, den Häftling auf die andere Seite der Stadt nach Newgate bringen zu lassen – «Southwark Prison is viel zu bequem für Typen wie den», so hatte Mendoza argumentiert. «Und außerdem, dann müßten ja die hochstehenden Freunde und Bekannte von Seine verblichene Lordschaft so weit fahren, wenn sie zukucken wollen, wie der dreckige Lump seinFett kriegt.» Also wurde Ned, nachdem man ihm die Taschen ausgeräumt und einen schmutzigen Lumpen in den Mund gestopft hatte, in eine halbe Tonne Eisen gekettet und nach Newgate überführt.
«Diese Lords. Pah! Blutsauger sind se alle. Mir hamse noch nie in mein Leben was Gutes getan – aber jede Menge Schlechtes, kannste mir glaum. Also, Jock da drüben – Ey, Jock! – hähä, der hört nich, is ja auch schon drei Tage tot, weiß bloß kein Arsch außer mir. Und du jetz. Willste hörn, wegen was Jock hier drinne war?»
Ned schüttelt den Kopf.
«Hat so’m Scheiß-Lord zwei Pence aus die Westentasche geklaut, oben in King’s High Street. Zwei Pence. Is so was möglich? Flickschuster isser gewesen, der Jock. Hab ’n gut gekannt. Drei Gören, die wo Tach und Nacht lang rumgeplärrt ham, weil se nix zu fressen hatten, also zieht Jock los und tut so’m eierköpfichn Lord in dem seine kostbare Tasche reingreifen. Un was is da drinne? Zwei Pence. Nu sin ja zwei Pence nich grade ’n Kappetal-Vabrechen, weißte ja selber, Alter, nich? Aber kappetal hat er bezahlt für, mußte doch auch sagen.»
«Ja», sagt Ned vage. Ihm sind die Beine eingeschlafen. Er versucht, die Sitzhaltung zu verändern, doch die Fußeisen bewegen sich kein Stück. «Aber woran ist er denn gestorben?»
«An was? Mann, du Arschbacke, weißte denn nich?»
«Was denn? Was sollte ich wissen?»
Der alte Wirrkopf schnaubt verächtlich. «Wirste bald rausfinden, vasprech ich dir. Jock is an die Chollara krepiert.»
ERSCHRECKEN UND EMPÖRUNG
Mit einem Schrei läßt Sir Joseph Banks die Nachmittagszeitung fallen und springt auf, wobei er eine
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