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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Sherrykaraffe und einen Behälter mit feinem Virginia-Tabak umwirft. «Dorothea!» brüllt er und stürmt durch die Bibliothek, dies auf Kosten des Schirmständers aus einem Elefantenfuß, des Teewagens und eines orientalischen Lackschränkchens, das unter Briefpapier, Kuverts und Siegelwachstöpfen fast ganz begraben wird.
    Fanny ist gerade in der Eingangshalle beim Staubwischen und wird beinahe umgerissen, als ihr Dienstherr aus der Bibliothek stürzt und die Stufen hinauftrabt wie ein waidwunder Hirsch. Immer noch schreit er: «Dorothea! Dorothea!», als wäre es ein Schlachtruf. Verblüfft starrt sie ihm nach, während er die Treppe hinaufstampft und um die Ecke verschwindet, der Lärm seiner Schritte hämmert oben weiter, noch ein Ruf, dann das forsche Klopfen seiner Knöchel an der Tür von Lady B.
    Sie ist beim Träumen überrascht worden, die gute Fanny, sie hat ins Leere gestarrt und an einer Büste des Lykurg herumgewischt wie eine mechanische Puppe. So ist sie schon den ganzen Tag. Bount schreibt es der Aufregung der vergangenen Nacht zu («wegen dem mit dem Einbrecher und so»), die Köchin hat sie beiseitegenommen und gefragt, ob womöglich ihre Monatsblutung infolge des Neumondes ungewöhnlich stark sei. Was für einfache Gemüter! Fanny lächelt, erfüllt von einem herrlichen Gefühl der Vorfreude, berauscht von dem Gedanken an die kommende Nacht und ihre Flucht mit Ned. Holland! Sie kann es noch kaum glauben. Sie wird sich einen Kragenbesatz aus Brüsseler Spitze kaufen, und eine dieser weißen Rüschenhauben mit den kleinen Flügeln dran, und ein Paar Holzpantinen. Sie werden in einer Windmühle wohnen, vielleicht, oder sogar auf einem Hausboot – hah! Sie wirdHerrin über den eigenen Haushalt sein, mit einer Dienerin, die ihr Tee bringt und Blumen pflückt   … kein Herumgekrieche mehr vor Lady B., und nie wieder Mopskacke in der Vorhalle wegwischen.
    Von oben ist Lady B. zu hören: «Jos – was ist denn los?»
    «Graeme! Graeme Twit! Sie haben ihn umgebracht!»
    «Umgebracht? Wovon redest du eigentlich?»
    Sir Josephs Stimme ist gepreßt vor Aufregung. «Einfach empörend ist es. Erschreckend und empörend. Aber ich schwöre   –»
    Geistesabwesend und kaum interessiert an dem Lärm von oben – Twit? Wo hat sie den Namen schon mal gehört?   –, wendet sich Fanny der offenen Tür der Bibliothek und dem Chaos darin zu. Unter verdrossenem Gemurmel stellt sie das Lackschränkchen wieder auf und kniet sich hin, um die Porzellanscherben vom Teppich einzusammeln. Zeitung und Tabaksdose liegen auch auf dem Boden, neben Sir Josephs Lehnstuhl.
    «…   Nein, Dorothea, ich werde mich nicht beruhigen!» dröhnt es aus der oberen Etage herab. «Ich will mich nicht beruhigen!»
    Fanny schaufelt den Tabak mit der Hand zurück in die Dose, dann hebt sie die Zeitung auf, glättet und faltet sie zusammen und will sie gerade über die Lehne hängen, als ihr die Schlagzeile ins Auge springt:
     
    LORD TWIT IN SOUTHWARK ERMORDET
     
    Sie liest weiter, wie unter Zwang stolpert sie durch den Text:
Tatverdächtiger in Haft
, eine dunkle Nacht in einem ärmlichen Viertel Londons und die finsteren Motive eines Verbrecherhirns werden rekonstruiert –
vorsätzliche, bedachte Schandtat von grundloser Brutalität
. Und dann kommen die beiden Worte, die ihr Herz aussetzen lassen: Ned Rise.
Ned Rise
, der Mörder.
    Oben durchmißt ein rachedurstiges, triumphierendes Horn die Tonleiter und gipfelt
allegro furioso
in einem mächtigen Schwall wüster Schmähungen, als Sir Joseph röhrt: «Lebendig auspeitschen werde ich ihn lassen, und dann aufhängen, daß die Hunde auf ihn pissen – bei Gott, ich schwör’s.»

QUID PRO QUO
    Zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte von Sitten und Gebräuchen galt es für eine Heldin als schicklich, ohnmächtig hinzusinken, wenn sie mit einer so plötzlichen und niederschmetternden Wende der Ereignisse konfrontiert wurde. Doch Fanny war aus härterem Holz geschnitzt. Nach einem kurzen, aber erlösenden Aufschrei zog sie sich – unter Berufung auf Unwohlsein – in ihre Kammer hinter der Küche zurück und begann, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie ihrem Geliebten aus seiner mißlichen Lage helfen könnte. Es erschien aussichtslos. An Mitteln besaß sie kaum mehr als ein Pfund (und das hatte sie im Laufe von Monaten angespart, Penny für Penny), ihre Eltern waren zerlumpte Hungerleider, ihre Freundinnen Milchmädchen und Dienerinnen – und an Sir Joseph konnte sie sich gewiß

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