Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
her, während der Hund durch das Zimmer raste, Nagetiere erdrosselte und dabei knurrte wie eine Schwedensäge. Verängstigte Ratten sprangen fiepend und quietschend aufs Bett und wühlten sich in die Laken hinein, von dem beharrlichen tonlosen Knacken der brechenden Genicke ihrer Gefährten wie von einer Peitsche angefeuert. Fanny bekam einen Schock. Adonais war unbeirrbar, ließ keinen Stoß aus.
    Es war schwer. Doch es hieß, entweder sich unterwerfen oder zusehen, wie Ned im Dreck von Newgate Prison einen qualvollen Tod starb. Die Geschichte der Liebe war voll von solchen Opfern   – Pyramus und Thisbe, Venus und Adonis, George und Martha Washington. Wenn die es gekonnt hatten, konnte sie es auch. Lag sie dann in Neds Armen hinter den kalten Steinmauern von Newgate, zu wund und zu erschöpft, um sich zu bewegen, mit geschwollenen Lippen und verweinten Augen, dann fühlte sie sich in die luftige Einsamkeit der frühchristlichen Märtyrer emporgehoben, ins Reich eines Ignatius, eines Polykarp, einer Jeanne d’Arc – ja zu Christus selbst. Das war Märtyrertum. Das war Liebe.
    Ned tat sein Bestes, ihre Last zu erleichtern. Er tröstetesie, massierte ihre Schwielen und Beulen, bemühte sich, die kalligraphischen Flecken auf ihrem Rücken mit Salben und Cremes auszulöschen – unter ständigen Schwüren, er werde sie rächen, es wiedergutmachen, mit ihr auf eine Insel im Mittelmeer fahren und ihr dort einen Altar errichten. Sie ließ ihn reden, seine Stimme stillte den Schmerz. Die Mauern waren aus Granit, die Tür aus Gußeisen. Er war bettelarm, machtlos, kastriert von einem System, das die Unterdrückten mit Füßen trat und Lügner und Diebe belohnte. Sie hielt es ihm nie vor. Nie unterminierte sie seine Hoffnung, nie bürdete sie seinen Höhenflügen den Ballast der Realität auf, und vor allem erwähnte sie mit keinem Wort je den Prozeß, der über ihren Köpfen schwebte wie die tückisch blitzende Klinge einer Guillotine.
    Doch jetzt war der Augenblick gekommen. Ned würde freigesprochen werden, und sie könnte Brooks den Rücken kehren, um mit ihrem Geliebten in Armut und Ekstase zu leben. Oder aber   …
    Sie stählte sich innerlich. Thisbes Beispiel war ihr durchaus im Gedächtnis geblieben.

DAS SCHWARZE BARETT
    Der Prozeßtag dämmerte wie eine Infektion herauf, der Himmel war tief und eiterfarben, die Sonne ein verschorftes Auge. Ein paar kränkliche Tauben flatterten über die Gefängnismauern wie im Wind treibende Zeitungen. Von unten, von der Straße, dröhnte das pathogene Gebrüll des vor dem Gerichtshof versammelten Mobs. Ned Rise wurde übel.
    Der Mob war ein relativ gestümer, der aus Ladenbesitzern, Geistlichen, debütierenden Industriellen und Abgeordnetengattinnen bestand – also aus Herz, Lunge und Mark der Mittelschicht. Die Leute waren größtenteils auf Betreiben von Sir Joseph Banks zusammengetrommelt worden. Den ganzen Herbst und Winter hindurch hatte erin der Presse und in den Salons von Soho und Mayfair eine unermüdliche Kampagne geführt, die in diesem Fall ein Exempel statuieren wollte, um «den aufgedunsenen Kadaver vor den Augen und Nasen der Öffentlichkeit auszubreiten, bis sein Anblick und sein Gestank sie dazu bringt, sich zu empören und das menschliche Ungeziefer auszurotten, das unsere Straßen unsicher macht und dort Leben, Freiheit – und, ja, auch den Besitz – aller braven Bürger bedroht.» Aufgestachelt hatte ihn der rücksichtlose Gewaltakt an seinem alten Freund aus der Afrika-Gesellschaft, und an den Rand der Raserei brachte ihn dann noch die Enthüllung, daß sein eigenes Ex-Hausmädchen mit dem Unhold – auf höchst abscheuerregende Weise – in Beziehung stand. Er kam mit einem einzigen Ziel nach Old Bailey: Ned Rise zum Tod durch Erhängen verurteilt zu sehen.
    Drinnen war die Zuschauergalerie zum Bersten voll. Charles Fox war da, Sir Reginald Durfeys, der Duke of Omnium und Lady Bledsoe, und Contessa Binbotta, Twits Schwester, war mit ihrem Mann Rudolfo aus Livorno gekommen. Die Afrika-Gesellschaft war vollzählig angetreten. Carlotta Meninges war da und Bischof Erkenwald. Erschienen war auch Beau Brummell, inzwischen ein Vertrauter des Prince of Wales und auf dem besten Wege, der hervorragendste Krawattenbinder seiner Zeit zu werden. Twits Tod hatte sie alle mächtig aufgerüttelt, zeigte er ihnen doch schrecklich klar ihre eigene Verwundbarkeit. Wer hatte sich nicht schon auf der Straße die Börse stehlen lassen oder war in der eigenen Kutsche von

Weitere Kostenlose Bücher