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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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methodisch, und fängt dann an, sich auf das riesige Faß seines Brustkorbes zu trommeln. «Das is mein Stichwort», flüstert Nan, die nun aus dem Schlafrock schlüpft und geziert auf die Bühne hinaustrippelt, voll wie eine Haubitze. Nachdem sie ein bißchen herumstolziert ist und ihre Brüste fürs Publikum aneinandergerieben hat, nimmt sie Jims Schwanz in den Mund. Die Zuschauer – dieselben, die eben noch stampfend und pfeifend mit Socken, Hüten, Tischtüchern und Besteck geworfen hatten – verstummen abrupt. Inzwischen schält sich Sally hinter der einzigen Requisite auf der Bühne hervor – einem Confidant aus grünem Samt – und taumelt auf die Seitentür zu. Ned hält ihr den Umhang auf. «Puuh», keucht sie, «der schwarze Kannerbale da hätt mich wohl am liebsten totgevögelt.» Sie trieft vor Schweiß, ihr Make-up ist ein Sumpf, die vollen schwarzen Locken kleben ihr an Hals und Wangen. Ihre Brüste sind rot-weiß gefleckt. Sie pressen sich gegen den Umhang wie Gemüse in einem Sack. «Und dem sein Atem! Wie’n vollgepißter Nachttopp. Aber sein Gerät is nich von schlechten Eltern – das muß ich dieser Bestie lassen.»
    «Schön, daß es dir Spaß gemacht hat, Sal.»
    «Spaß?» Voller Empörung, Hände auf die Hüften gestützt. «Glaubste etwa, das macht Spaß, wenn so’n Nigger-Babarer, der aus’m Mund stinkt, auf mir rumsabbert und dabei grunzt?» Aber dann zwinkert sie. «Die leichtesten vier Eier, wo ich je verdient hab, seit Lord Dalhousie damals vom Milch-Punsch so knülle war, daß er mir seineganze Geldbörse ins Dekolltee von mei’m Wollsatängkleid gesteckt hat.»
    Ned lacht. «Das ist erst der Anfang, Sal. Ich hab schon die nächste Show für Donnerstag hier angesetzt, und dann noch eine am Samstag im «Sauf & Syph». Und jetzt sag ich dir was: Wenn du noch mal da rausgehst und dein ganzes dramatisches Talent spielen läßt, kriegst du noch zwei Crowns extra.»
    Sie will gerade erzählen, wie ihre Mammi schon immer gesagt hat, sie soll eine Bühnenkarriere einschlagen, da späht sie zum Publikum hinaus und fängt an zu kichern. «Ned», flüstert sie. «Jetzt guck dir das mal an.» Ned guckt. Alle Zuschauer   – Lords und Hosenbandorden, Marineoffiziere, Kaufleute, Straßenräuber und Geistliche, sogar Smirke selber – sind wie in Trance, der Mund steht ihnen weit offen, Kinn und Bart naßglänzend vor Sabber. Jim liegt jetzt ausgestreckt auf dem Rücken, vorn auf der Bühne, und Nan reitet ihn wie ein Jockey, nimmt die Wälle, Zäune und Wassergräben des Orgasmus wie im Flug, die ganze Zeit über keuchend und stöhnend. Nicht einmal ein Flüstern kommt von den Gästen, kein Husten und kein Schniefen, kein Juchzer und kein Jubel – sie hätten nicht mal aufgeblickt, wenn der Halleysche Komet der Bude das Dach weggefetzt hätte. Manchen zuckt es im Gesicht oder in den Gliedern, andere umklammern ihre Hüte und Spazierstöcke, als wollten sie sich am Rande eines Abgrundes an dünnen Zweigen festhalten. Da und dort betupft ein Taschentuch eine Stirn, rastlose Zahnreihen knabbern an Stuhllehnen, Füße klopfen im Takt und Knie knacken. «Juchhuuh!» ruft Nan auf dem Gipfel eines rasanten Galopps aus, und der arme Smirke knallt in einem Taifun aus knirschendem Glas vornüber zu Boden. Niemand bemerkt es.
    Sally bedient sich an Neds Flasche. Dann lacht sie los. Lacht, bis sie sich vor Seitenstechen an die Rippen greift.
    «Was ist denn so lustig?» fragt Ned.
    «Also», bringt sie prustend hervor, «entweder sind diese Schamkapseln von anno dunnemals auf einmal wieder Mode, oder irgendwer hat denen da drinne Hefe in die Hosen gekippt.»

DER SAHEL
    Die Sahelzone ist ein Streifen semiarides Land, das Westafrika wie ein Hosenbund gürtet und sich von der Atlantikküste im Westen bis zum Tschadsee im Osten erstreckt. Darüber liegt die Große Wüste; darunter die Regenwälder des tropischen Afrika. Die nördlichsten Randgebiete machen der dürren, ausgebleichten Steppe Platz, dann folgen die Dünen und Ergs der Sahara selbst. Im Süden wird der Sahel zur Savanne, einem üppigen Meer aus blaugrünem Gras von Juni bis Oktober, den Monaten des Monsuns. Während dieser Zeit zieht Al-Hadsch’ Ali Ibn Fatoudi mit seinen Ziegen- und Rinderherden, seinen Leuten, Zelten, Ehefrauen und milchgenährten Pferden nach Norden, bis hart an die Grenze des grünen Landes. Von November bis Juni zieht er wieder südwärts; dann pfeift der ungestüme Harmattan mit Krallen aus stiebendem Sand von der

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