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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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ungeheure Mengen, aß wie rasend, konnte gar nicht genug kriegen. Zuckerdatteln, Lammfleisch, Joghurt, löffelweise Salz, Kuskus mit Dörrfisch, Kuskus mit Nüssen, Kuskus mit Kuskus. Im Süden gab es Obst   – Tamarinden, Maniok, Wassermelonen   –, flache Brotlaibe, Töpfe mit wildem Honig, Yamwurzeln, Mais, Butter und Milch, Milch, immer wieder Milch. Ziegenmilch, Kuhmilch, Kamelmilch – sie nuckelte sogar wie ein Säugling am Busen einer stillenden Sklavin. Sie war unersättlich. Sie aß aus Angst, sie aß aus Rache. Sie aß für die Schönheit.

TANTALUS
    Er kommt langsam um, quält sich durch endlose Tunnel des Verfalls und des Todes, einer letzten Ruhe im Staub vergangener Generationen entgegen. Er kommt um, und zwar ganz einfach vor Durst. Vor Hunger auch – aber der Durst ist unmittelbarer. Abends geben ihm die Mauren, falls sie daran denken, eine Handvoll Kuskus und eine halbe Tasse mit einer gelblichen Lorke. Heute haben sie es vergessen. Sein Magen zieht sich zusammen, auf Luftdiät gesetzt, Zellen gehen ein und sterben ab wie auf den Strand geschleuderte Quallen. Dann fällt die Temperatur, und er liegt in seine Jacke gerollt, zitternd und schwitzend, sein Fieber ein inneres Wetterventil, an und aus, Sonne und Hagelsturm. Draußen, außerhalb des Kreises der Zelte, erklingt Schakalgeheul wie ein Messer im Herzen,und Hyänen rotten sich zusammen, um den Mond einzuschüchtern. Viel Geschrei und Gejammer und Zähnefletschen wird es geben, denkt er. Dann schließt er die Augen.
    Augenblicklich hat der Entdeckungsreisende einen lebhaften Traum. Er steht in der größten Mittagshitze draußen in der Großen Wüste, die Sonne eine Fackel, den Mund hat er voller Sand. Hinter ihm schleppen sich Männer dahin, fremde Männer – verbrannte Gesichter, Bärte, zerschlissene Kleider. Bis zum Horizont reicht ihr Zug, wie die Ameisen. In der Hand hat er einen gegabelten Stecken. An seiner Seite steht Zander – der gute alte Zander   – Ailies Bruder. Früher haben sie oft gemeinsam geangelt. «Wo ist sie, wenn wir sie brauchen?» fragt Mungo. «Zu Hause», erwidert Zander. «Sie wartet.» Ein Mann hustet und fällt vornüber. Der Entdeckungsreisende dreht ihn auf den Rücken und zuckt zurück: Die Augenhöhlen sind leer, das Zahnfleisch weit von den Zähnen zurückgewichen, die Haut krustig wie glasierter Schinken. In diesem Moment erscheint eine zinnerne Schöpfkelle am Himmel, deren Wölbung mit Tauperlen überzogen ist – dann noch eine, und noch eine – eine ganze Prozession von Zinnkellen voll Wasser schwebt über ihnen wie Möwen im Aufwind. Ein leises Hurra steigt von den Männern auf. Sie strecken die Arme empor und schmatzen mit den verklebten Lippen – doch die Kellen hängen zu hoch, gerade außer Reichweite. Panisch klettern sie einander auf die Schultern, scharren mit den Fingern am Himmel. Die Schöpfkellen sind scheu, sie zappeln und tänzeln, flirten mit den ausgestreckten Fingern; aber sie wollen keinen Tropfen hergeben. Die Männer verzweifeln, rammen die Köpfe gegen Steine, Dornbüsche und Felsvorsprünge. «Tu doch was!» flehen sie ihn an. «Hilf uns!» Im selben Augenblick beginnt die Gabelrute auszuschlagen. Mungo lauscht in den Wind. Er hört etwas: ganz schwach und fern, ein lyrisches Trällern. Ein nasses Getröpfelvon Tönen wie von einer Flöte oder Harfe. Kann es wahr sein? Er ist rasch, bestimmt, entschlossen. «Folgt mir!» ruft er und läuft los, hin zu dem anschwellenden Tosen, Brüllen, Zischen, zu den süßen Synkopen des Wassers, das über ein Bett aus Steinen braust. Wie betäubt rappeln sich die Männer auf und hinken ihm hinterher. Über eine Ebene, einen Abhang hinauf, und da, da ist er! Der Niger, klar und kühl wie ein Oktobermorgen, geometrische Wiesen, an den Flußrändern sauber gestutzt, über die gekräuselte Wasserfläche gleiten Kähne, Bläßhühner und große, schweigende Schwäne, Lachse springen, frische Farne und laubreiche Ulmen säumen das Ufer. Er springt kopfüber hinein, die jubelnden Männer dicht auf seinen Fersen, ekstatisch, erlöst, lebendig. Doch als er sich umdreht, sind sie verschwunden. Wellen klatschen, Schwäne nicken mit dem Kopf: er ist allein mit seinem Triumph. Aber das ist egal, er hat einen Riesenspaß, wühlt die Wellen auf, bläst blubbernde Luftblasen und schluckt, gurgelt, schlingt das weiche, an den Zähnen eiskalte Wasser des Stroms in sich hinein, bis er nicht mehr kann.
    Er erwacht mit einem Klumpen in der Kehle. Seine

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