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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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dreiundsechzig Jahre alt, ihres Vaters engster Freund und Berater. Er war nackt. Fatimawar gedemütigt. Nie zuvor hatte sie die Beine eines Mannes gesehen, geschweige denn diese runzligen Fleischlappen, die dem Alten zwischen den Beinen baumelten wie eine gräßliche Verwachsung. Ihr kam das wirbellose Gewürm in den Sinn, das im Morast austrocknender Wasserlöcher quirlte. Sie war elf Jahre alt. Sie brach in Tränen aus.
    Mohammed Bello war nicht allein. Die Zeltklappe raschelte, und acht weitere Männer, nackt wie neugeborene Babies, kamen schweigend herein. Unter ihnen war Zib Sahman, ihr Patenonkel. Und Akbar Al-Akbar, der Stammesälteste. Als alle versammelt waren, brachte ein Sklave eine Schüssel im Waschzuberformat herbei. Die Schüssel enthielt Kamelmilch, mindestens eine Wochenration. Nach ihm kam ein zweiter Sklave, der eine noch größere Schüssel voll Kuskus trug. Die Schüsseln wurden vor ihr aufgestellt. Kamelmilch schmeckt süß und ist voller Nährstoffe. Kuskus, eine Art Brei aus gekochtem Weizenschrot, ist das Hauptgericht auf maurischen Speisezetteln. Er ist beileibe nicht ungenießbar, aber alles hat ja seine Grenzen. «Iß!» sagte Bu Khalum.
    Anfangs begriff sie nicht ganz. Das viele Essen war gewiß für die Gäste ihres Vaters gedacht. Erwartete er, daß sie ihnen servierte? Doch dann fiel ihr ein, daß sie ja alle nackt waren, und sie begann von neuem zu flennen.
    Ihr Vater wurde laut. «Iß, hab ich gesagt!» brüllte er. «Verstehst du nicht Arabisch? Bist du taub geworden? Iß!»
    Sie blickte zu den acht Honoratioren auf. Sie saßen im Halbkreis und beobachteten sie. Immer noch waren sie nackt. Und dann kam der allergrößte Schock: Ihr Vater stieg aus seiner
jubbah
! Ihr ganzes Leben lang – beim Essen, zur Schlafenszeit, auf Reisen – hatte sie nie mehr von ihm erblickt als Gesicht, Hände und Zehen. Jetzt stand er plötzlich vor ihr – nackt und bestückt mit den gleichen gummiartigen Fleischlappen wie die anderen. Sie war zu Tode erschrocken. «Iß!» wiederholte er. Ein Schwindel packte sie.In diesem Moment kam die Gerte in seiner Hand zum Vorschein. Er schlug ihr damit zweimal ins Gesicht. Sie schrie auf. Er schlug sie noch einmal. Und noch einmal. «Iß!» sagte er.
    Sie setzte die Lippen an die Milch und trank unter Schluchzen. Sie nahm eine Handvoll Kuskus und stopfte sie sich in den Mund. Aber sie war gar nicht hungrig. Sie hatte gerade gegessen – und zwar mehr als sonst. Ihre Mutter war wieder am Nörgeln gewesen wegen ihrer spitzen Knochen, ihrer Derbheit, daß kein Mann sie je würde haben wollen, ein Mädchen, das aussah wie ein Wüstenstrauß. Also hatte sie sich gezwungen, mehr zu essen. Jetzt war sie satt: Noch ein Bissen, und sie würde kotzen. Der Brei blieb ihr im Hals stecken.
    Bu Khalum war außer sich. Er brüllte und peitschte drauflos, bis ihm der Hals weh tat und der Arm lahm wurde. «Jetzt wird nicht mehr Seilhüpfen mit den andren Mädchen gespielt, keine Lektionen mehr, kein Körbeflechten – gar nichts. Du wirst hier sitzen bleiben, auf diesem Kissen, und nur noch essen, bis du volljährig bist. Du wirst essen, und du wirst wachsen. Du wirst schön sein. Hörst du? Schön!» Mohammed Bello und die anderen sahen zu. Von Zeit zu Zeit nickte einer von ihnen beifällig. Fatima aß. Weinte und aß. «Und wenn du volljährig bist, wirst du weiter essen – Tag und Nacht. Das ist deine Pflicht. Vor deinem Vater und vor deinem Mann. Er wird auch eine Gerte haben!» schrie ihr Vater. «Eine Gerte, so wie die hier. Und er wird dich prügeln, wie ich dich jetzt prügle, und ich werde dich morgen prügeln, und übermorgen und den Tag danach!» Plötzlich waren die Honoratioren auf den Beinen, als wäre dies eine Art Stichwort gewesen. Fatima sah auf, die Backen prall mit Brei, und schluckte: Eine gräßliche, unnatürliche Veränderung war mit ihnen vorgegangen. Wo sie vorher schlaff gewesen, waren sie jetzt steif. Die verschrumpelten alten Truthähne hatten plötzlichgeschwollene Schwänze, und sie kamen ihr immer näher. «Prügeln!» kreischte ihr Vater, und sie begannen zu wichsen, klatschig und matschig ihre Ruten zu melken, die Gesichter angestrengt und fern, beinahe entrückt. Fatima fühlte sich wie aus Wachs. Ihr Kopf schwebte davon. Sie fiel hinab, taumelte durch Äonen, Abgründe der Erde, hinein in die bodenlose Tiefe. Dann spürte sie die ersten paar Tropfen, wie Regen, niederfallen.
    Nach dieser Nacht der Wunden und der Traumata aß sie. Sie aß

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