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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Wüste her und saugt alle Feuchtigkeit aus der Luft, dem Gestrüpp und den Augen und Kehlen seiner Herden und Stammesleute. Die traurige Wahrheit ist, daß Alis Herden den nördlichen Sahel langsam kahl weiden. Seine Kühe rupfen das Gras ab, bevor es eine Chance hat, richtig zu keimen, seine Ziegen reißen es mit der Wurzel heraus. Jedes Jahr kommt Ali weiter nach Süden, eine Meile hier, eine Meile dort. In zweihundert Jahren wird Benaum Wüstenland sein. Die großen Ergs, Igidi und Sehesh, fließen und treiben mit dem Wind, strecken Zungen, Finger und Arme aus, locken und belagern.
    Es ist kein Picknick, das Leben im Sahel, machen wir uns nichts vor. Kargheit und Not, Launen der Natur: allesständige Gäste hier. Da gibt es Jahre, in denen die Regenfälle nicht kommen wollen und die sanft blökenden Herden sich zu Knochenmonumenten bis zur Sonne auftürmen. Oder ein Brunnen, der zu Salzwasser wird; Sandstürme, die einem die Koteletten von der Backe rasieren. Dann sind da die Hyänen – reißen des Nachts Kinder und Ziegen, weiden sie aus und lassen die angepißten Überbleibsel den Geiern und Schakalen zum Fraß liegen. Und auch der Zug nach Süden birgt Gefahren: je weiter man kommt, desto größer das Risiko eines Hinterhalts durch die Fulah oder Serawoulli. Das wäre eine schöne Bescherung. Das eigene Volk in Ketten, Vieh geschlachtet, Pferde geschändet, Kuskus verputzt. Zwangsläufig ist das Leben karg. Und transportabel. Das gesamte Lager von Benaum – alle dreihundert Zelte – könnten in einer Stunde fort sein, Fata Morgana.
    Da er immer auf dem Sprung ist, legt Ali seine Reichtümer in beweglichem Besitz an, in Besitztümern mit Beinen   – Kamelen, Pferden, Ochsen, Sklaven. Sichtet man seine materielle Habe, so ist er praktisch ein Bettler. Der Emir von Ludamar, Gebieter über Tausende, Herrscher über ein Reich so groß wie Wales, Mann des Korans und Nachkomme des Propheten, besitzt im Grunde weniger als ein Hausmädchen aus Chelsea. Ein Zelt aus Ziegenhaar, eine frische
jubbah
zum Wechseln, einen Topf, ein Stövchen, zwei Musketen, eine lecke Wasserpfeife und einen Säbel mit stumpfer Schneide, der einmal Major Houghton gehört hat – das ist es dann schon. Tja, aber seine Pferde – milchweiß wie der Mond, Muskeln wie Marmor, Schweife so rot wie eine offene Vene (er läßt sie färben). Und dann seine Frauen! Wenn Ali zu beneiden ist, dann um seine Frauen. Jede seiner vier Gattinnen könnte eine Flotte von tausend Schiffen ins Meer jagen – aber sie kannten das Meer nicht einmal.
    Die Königin unter ihnen – an Einfluß wie an Schönheit –ist Fatima von Jafnu, die Tochter von Bu Khalum, dem Scherif des Stammes der Al-Mu’ta. Fatimas erotische Reize beruhen nur auf einer einzigen Eigenschaft: ihrer Körperfülle. Was wäre in einer knochendürren Gesellschaft ein angemesseneres Ideal menschlicher Vollkommenheit? Fatima wiegt hundertdreiundsiebzig Kilo. Um von einer Ecke des Zelts in die andere zu gelangen, braucht sie den Beistand von zwei Sklaven. Auf dem Neunzig-Kilometer-Ritt nach Dihna im Norden brachte sie einmal zwei Kamele und einen Zugochsen zur totalen Erschöpfung, und schließlich mußte sie auf einer Sänfte von sechs Rindern gezogen werden. Ali kommt von der Wüste heim, Blut und Sand in den Augenwinkeln, und taucht mitten hinein in die feuchte Fruchtbarkeit ihres Fleisches. Sie ist ein Brunnen, eine Quelle, eine Oase. Sie ist überfließende Milch, ein bewegliches Festmahl, eine saftiggrüne Weide, eine Rinderhälfte. Sie ist Gold. Sie ist Regen.
    Fatima war nicht immer Schönheitskönigin. Als kleines Mädchen war sie die reinste Bohnenstange – schwere Knochen und ein enormes Potential, das ja – aber doch nur ein schlankes, dunkeläugiges häßliches Entlein. Bu Khalum nahm sich ihrer an. Eines Abends trat er mit einer Binsenmatte und einem Kissen ins Zelt. Er breitete die Matte in einer Ecke aus, legte das Kissen darauf und befahl seiner Tochter, Platz zu nehmen. Dann lief er Kamelmilch und Kuskus holen. Fatima war verwirrt: Die Reste des Abendessens – hölzerne Schalen voller schwarzer Fliegen, ein umgekippter Krug – lagen noch in der Ecke. Plötzlich bemerkte sie die Schatten, die auf der Zeltbahn spielten, als würden draußen mehrere Leute umhergehen. Sie fragte ihren Vater, ob er ein Treffen mit seinen Ratgebern plane. Er sagte ihr, sie solle das Maul halten. Auf einmal wurde die Zeltklappe zurückgeschlagen, und ein Mann kam herein. Es war Mohammed Bello,

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