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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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der Prinz selbst und unterhält sich mit Charles Fox, einem der größten Gegenspieler seines Vaters, und mit dem jungen Modezaren Beau Brummell. Hinter ihnen ist der Saal voll besetzt. Fanny Burney ist gekommen, der Herzog von York, Peg Woffington. Lord Hobart. Wilberforce, der Gegner der Sklaverei, macht es sich in einer der hinteren Reihen bequem, zusammen mit dem Bischof von Llandaff, dem Mitglied
in absentia
der Afrika-Gesellschaft, während die Contessa Binbotta, schmuck und aalglatt wie ein schmerbäuchiger Haifisch, eine große Schau abzieht, indem sie William Pitt und dem Lord Mayor ihren von Herzen kommenden Dank abstattet. Im ganzen Saal erklingt das Raschelnvon Seide und das Klappern von Zierschwertern, gedämpftes Murmeln, Schnüffeln und diskretes Hüsteln. Die Düfte von Fliederwasser und Eau de Cologne liegen schwer in der Luft.
    Mungo Park sitzt zur Rechten von Sir Joseph Banks und fühlt sich ein wenig schwindlig. Von dem Moment an, da er seinem Schwager in der frühmorgendlichen Stille der Museumsgärten die Hand gereicht hat, wurde er in einen Mahlstrom von Aktivitäten gerissen, eine sich ständig steigernde Abfolge von Frohsinn, Gratulationen, glänzenden Gesichtern und erhobenen Gläsern. Gebratene Gans bei Dickson und Effie, Punsch mit Yorkshire-Pudding und Rumkuchen bei Sir Reginald Durfeys, ein Weihnachtsbaum voller Kerzen, vergessene Liedstrophen, drei Stück Früchtebrot und Brandy bei Sir Joseph, eine wilde Jagd von Parties, Kutschenfahrten, verschneiten Straßen, Schulterklopfen und Händeschütteln – und nun das hier. Er ist vergnügt, verwirrt, zufrieden, deprimiert, erschöpft, angeheitert. Sobald es sich herumgesprochen hatte, waren die Mitglieder der Afrika-Gesellschaft herbeigeströmt, hatten ihn umringt wie aufgeregte Schuljungen beim Rugby-Match und ihn mit ihren neugierigen Gesichtern und Tausenden von Fragen bedrängt. Schnitten die Neger den Rindern die Steaks bei lebendigem Leib raus und fraßen sie auf der Stelle auf? Waren die Städte aus Gold oder Dreck erbaut? Wie breit war der Fluß? Konnten Handelsschiffe darauf fahren? Hatten ihm die Hippogryphen Probleme bereitet?
    So hat er es sich vorgestellt, davon hat er geträumt. Er ist das Stadtgespräch von London, der Polarstern in dieser Galaxis von stellarem Glanz. Aber er ist müde, restlos fertig. Banks zupft ihn am Arm und will ihm noch jemanden vorstellen, aber er kann kaum noch den Kopf aufrecht halten. «Ach, Mungo, kennst du eigentlich schon den Herzog von Portland?» Seine schleppende aristokratische Intonationtaucht den Namen geradezu in Sirup. «Das hier ist der Bursche, von dem ich Ihnen erzählt habe, Herzog – am Niger gewesen und zurückgekommen   … heute früh   … ostwärts! Fließt ostwärts!»
    Endlich aber, Gott sei Dank, werden die Lichter gedämpft, der Dirigent steigt aufs Podium, und die Eröffnungstakte der Sinfonia tönen durch den Saal. Auf den Entdeckungsreisenden hat das einen schlagartigen Effekt. Die Klänge der Streicher, von Orgel und Trompete wirken wie ein Sedativum auf ihn, baden ihn in der süßen Erleuchtung der Zivilisation, wispern ihm etwas von Präzision und Kontrolle zu, von Aufklärung, von St.   Paul’s Cathedral und den Clubs auf der Pall Mall, von den beruhigenden Gesetzen von Ursache und Wirkung, von Prämisse und Konklusion. Er ist wieder zurück, endlich ist er zurück. Zurück in einer Gesellschaft, wo Formen gewahrt werden und die Liebe zur Kultur zum Leben gehört, in einer Gesellschaft, die William Shakespeares, Christopher Wrens, John Miltons und James Cooks hervorbringt. Hoch Britannia, ja wirklich.
    Als er aufblickt, fulminiert der Bassist in einem Solo gegen «das Volk, das da wandelt im Dunkel», und Mungo denkt an Ali, Ebo, Mansong, an das Chaos und die Barbarei von Afrika. Doch dann setzt der Chor ein wie ein Hammerschlag und treibt mit der Freude und Intensität von «Denn uns ist ein Kind geboren» die Dunkelheit zurück, und er glaubt noch nie etwas so Schönes gehört zu haben. Und jetzt hebt der Sopran an, steigt in luftige Höhen wie ein Engel, das Weihnachtsspiel entfaltet sich, die altehrwürdige Geschichte der Hirten auf dem Felde und die frohe Botschaft der Erlösung des Menschen. Als die Altistin vortritt, um ihr Rezitativ zu beginnen: «Dann wird das Auge des Blinden aufgetan», muß Mungo plötzlich an Ailie denken. Die Solistin ist schmal gebaut, wie ein Junge, ihr schwarzes Haar zum Nackenknoten gebunden. MungosAugen sind geschlossen, auf

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