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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gichtigen Klauen, warf die Leiche auf die anderen zwei und fuhr seine Ladung die Paternoster Row hinauf. Dann sank er auf einen Stuhl neben dem Kamin und wartete, daß Quiddle und Babbo und die übrigen kämen und ihre Angebote machten. Was wird geboten? Hochmütig saß er hinter seinem Tisch und fragte Quiddle: Na? Was wird geboten?
     
    Der Seziersaal ist eng und warm. Die beiden Studenten aus Leiden sind da, tief gebeugt über ihre Skizzen- und Notizblöcke; hinter ihnen erkennt Delp Freischütz, den ernsten jungen Deutschen mit langer Nase und zerzaustem Haar. Dr.   Abernathy ist natürlich auch gekommen, er sitzt in der ersten Reihe, wie immer voll Neugier auf die Mysterien des Organismus. Hinten sitzen zwei Fremde, darunter eine Dame. Das hat Quiddle arrangiert. Feine Leute mit einer Schwäche für die Wissenschaft und voller Börse. Die kommen wegen des Nervenkitzels.
    Delp verbeugt sich knapp vor dem Publikum, ehe er die kalbsledernen Handschuhe überstreift, die er bei Eingriffen in den leiblichen Körper für gewöhnlich anlegt. Dann räuspert er sich und richtet den starren Blick auf Dr.   AbernathysStrümpfe: «Heute werden wir mit den wichtigsten Blutgefäßen des Beines beginnen   … Quiddle?»
    Quiddle, in weißem Kittel und Krawatte, geht forsch in die Mitte des Raums, wo die beiden Leichen, der Große und der Kleine, Seit an Seit auf einem schweren schieferbeschichteten Tisch ruhen. Schwungvoll zieht er das Laken von dem Kleineren weg. Aus der hinteren Reihe ertönt ein Murmeln, gefolgt vom wohlerzogenen Nach-Luft-Schnappen einer Dame. Der Arzt wendet sich der Leiche zu, in der Hand den Zeigestock, und runzelt die Stirn. Die eine Hand des Zwerges, zur Klaue erstarrt, krallt sich um das Genick, der Körper ist kaum größer als der eines Kindes, das Gesicht klagt an – verzerrt in Wut und Todeskampf, die Augen weit aufgerissen, die Zähne gefletscht zu einem breiten, verzweifelten Grinsen – monströs und absurd zugleich. «Nein, nein», flüstert Delp, «fangen wir erst mal mit dem anderen an.»
    Als gehorsames und tüchtiges Faktotum zieht Quiddle das Laken dem Zwerg sofort wieder über den Kopf, und das Publikum atmet hörbar auf. Als er sich bückt, um die zweite Leiche freizulegen, läßt sich die Unruhe im Saal beinahe greifen – die Hände der feinen Dame zucken vor den Mund, zum Ersticken eines Aufschreis bereit, die Leidener Studenten interessieren sich auf einmal lebhaft für die Architektur der Zimmerdecke, und der junge Freischütz nuckelt am Bleistift, bis seine Lippen schwarz werden. Wie sich herausstellt, gibt es jedoch keinen Grund zur Beunruhigung: die Leiche strahlt Ruhe aus, die Arme sind angelegt, das Gesicht ist entspannt und zufrieden, ein weißes Tuch legt sich um die Lenden. Wären nicht die Schürfwunden des Stricks und die grellfarbigen geborstenen Gefäße an der Kehle, hätte man nie geglaubt, daß der Bursche eines gräßlichen und vorzeitigen Todes gestorben war – er könnte auch schlafen, den Toten bloß spielen, für ein Schaubild des vom Eber getöteten Adonis posieren. Stillesenkt sich über den Saal, alle Blicke fixieren die schlaffe, bläßliche Gestalt auf dem Seziertisch.
    Die trockene, schneidende Stimme von Dr.   Delp wirkt fast wie ein Eindringling. «Wie gesagt, wir beginnen heute mit einer Betrachtung der Gefäße des Beines   … äh   … Quiddle, wenn Sie jetzt bitte   …?»
    Während Quiddle geschickt mit dem Skalpell die Dermis des Unterschenkels eröffnet, um die Arteria tibialis anterior freizulegen, geschieht etwas Merkwürdiges, Wundersames: Aus dem Einschnitt ergießt sich ein Schwall von Blut – ungestüm wie ein Geysir – und spritzt ihm über Brust, Gesicht und Hände, färbt seinen Kittel wie eine rot grundierte Malerleinwand.
    «Die Arteria tibialis anterior», intoniert Delp mit dem Rücken zum Seziertisch, «zweigt im Bereich der Patella von der Arteria tibialis posterior ab, die ihrerseits die Arteria peronea abgibt   –» Er bricht mitten im Satz ab, weil offenbar irgend etwas schiefgelaufen ist. Abernathy ist aufgesprungen, ihm fehlen die Worte, die Leidener Studenten haben ihre Notizbücher fallen lassen, die Gesichter der feinen Leute sind aschfahl   … und dann, wie ein eisiger Ruf von jenseits des Grabes ertönt hinter ihm ein Stöhnen, unmenschlich, beklemmend, fürchterlich.
    «Dok-Doktor   –», stammelt Quiddle.
    Delp wirbelt herum und sieht eine Blutfontäne, das bleiche Gesicht seines Assistenten und – das

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