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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Entdeckungsreisende, normalerweise in solchen Situationen nicht eben gesprächig, wird unter dem Einfluß des Weins allmählich recht gelöst. «Die Fulah, so erzählte man mir, treiben es oft im Sattel ihrer Kamele, und die Serawoulli   –», hier senkt er die Stimme, da ihm soeben ein schwarzer Diener nachschenkt, und seine Zuhörer beugen sich begierig vor, «–   die Serawoulli ziehen doch ihren Frauen tatsächlich die Jungtiere ihrer Schafe vor   …»
    «Wie unsagbar fad.» Aus dem Nichts taucht die Baronesse auf, ihr Kopf eine wogende Lockenmasse, das Dekolleté geht tief über den Punkt ohne Wiederkehr hinaus. «Einen derart vitalen, ja transzendentalen Akt wie die Liebe aufs rein Geschlechtliche zu reduzieren, meine ich. Finden S’ net auch, Mr.   Park?»
    «Ich – ich – äh   …»
    «Kommen S’ mit», sagt sie und hängt sich bei ihm ein. «Ich habe noch andere Gäste, die Sie vielleicht auch gern kennenlernen möchten. Meine Herren, Sie entschuldigen uns doch gewiß?»
     
    Ein paar Stunden später hat der Entdeckungsreisende volle Segel gesetzt und führt die Baronesse in einem energischen,semi-spastischen Reel über das von den übrigen Gästen mittlerweile geräumte Parkett, und die Violine zirpt dabei am unteren Ende des Griffbretts drauflos. Über seinem Kopf zucken Kronleuchter dahin, Pflanzen, Statuen, Gemälde, und erstaunte Gesichter verschwimmen zu einem schwindelerregenden Gemenge, und die Baronesse taucht auf und verschwindet wie ein Traumgebilde. Sie wirft die Absätze in die Luft, wirbelt herum wie ein Derwisch, das Haar fällt in Girlanden über ihren Rücken, ihre Brüste hüpfen, die Petticoats flattern. In einer Inspiration versucht der Entdeckungsreisende eine Art
grand jeté
und springt durch den Raum wie eine Antilope, setzt über einen Schreibtisch und nähert sich wieder seiner Partnerin in einer rasanten Folge von größer werdenden Spiralen. Er fühlt sich so gut, er würde am liebsten vor Freude quietschen, brüllen wie ein Löwe, sich auf die Brust trommeln und wie eine elementare Naturgewalt losschreien. Unglücklicherweise verliert er im letzten Augenblick das Gleichgewicht und knallt der Länge nach in die Baronesse, so daß er sie in ein Pembroke-Tischchen hineinstößt, das sofort zersplittert. Sie bleibt einen Moment lang unter ihm liegen, vierzig Jahre alt und fühlt sich wie zwanzig. «Sie san mir ja a wilder Tänzer, Mr.   Park», murmelt sie dann, und ihre langen Finger schließen sich um seinen Rücken.
    Im nächsten Augenblick sind die beiden Parkettratten wieder auf den Beinen und grinsen einander zu, während ringsum die Gäste zusammenlaufen, um den Schaden zu begutachten. «Bringt neuen Champagner!» ruft die Baronesse. «Und Musik, Musik!»
    Pflichtgetreu nimmt das Orchester eine neue Melodie auf, und einige wenige Paare wagen sich verschüchtert auf den Tanzboden. Irgendwo erzählt jemand einen Witz, das Geplauder kommt von neuem in Schwung, und der Vorfall ist schon wieder vergessen. Die Baronesse streicht sich das Mieder glatt, läßt ihre Brüste purzeln und bringt die Rüschenihres Rocks in Ordnung, während der Entdeckungsreisende sich den Gehrock abklopft und ein wenig um Worte verlegen ist. «Meiner Seel, war das eine Hetz», stellt sie schließlich fest. Und dann: «Kann ich Ihnen noch ein Glaserl Champagner anbieten, Mister Park?»
    «Ja – ja, natürlich. Und bitte – sagen Sie Mungo zu mir.»
    Während ein Diener ihnen nachschenkt, sieht sie mit großen Augen und einem irgendwie katzenhaften Ausdruck zu ihm auf. «Kann ich dir noch etwas von mir geben – Mungo?»
    Der Entdeckungsreisende schwankt ein wenig, grinst dabei einfältig und verliert sich ganz in kontemplativer Bewunderung der Vorderfront ihres Kleides.
    «Vielleicht würde es dich interessieren, dir den Rest des Hauses anzusehen – den Salon, die Bibliothek   … meine Schlafgemächer?»
    Er sieht ihr zu, wie sie am Glas nippt, ihre Zungenspitze wie eine Knospe, prall und rosa und feucht. «Und – äh   …», stottert er, um Nonchalance ringend, «der Herr Baron – äh, ich glaube, ich hatte noch nicht das Vergnügen.»
    «Ach!» sagt sie und nimmt seinen Arm. «Hab ich das net erzählt? Der arme Mann ist vor drei Jahren dahingeschieden.»

AB UND AUF UND WIEDER ABWÄRTS
    Der letzte Monat war ein Trümmerfeld. Ein Monat der Schicksalsprüfungen und Rechtfertigungen, in dem der Zweifel der Gewißheit wich und in der Krise die Entschlußkraft wuchs. Und dann die abrupte

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