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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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nächtliche Kehlenspülung um die Tröge drängen. Beim Näherkommen kann er allmählich die runden Hinterteile und die wilden Spieße der Hörner ausmachen, die wie ein wogender Wald gen Himmel stoßen. Die Kühe – eher übergewichtige Gazellen als Rindfleisch auf Hufen – stampfen und stoßen und blöken nach Wasser. Er könnte glatt mitblöken. Er könnte jammern und schreien und alle Dämonen der Hölle überbrüllen, so durstig ist er. Aber was ist das? Etwas bewegt sich unter den Akazien dort vorn. Der Entdeckungsreisende pirscht sich heran, um besser zu sehen.
    Sechs oder sieben Sklaven, eingehüllt in ihre Burnusse, lümmeln sich rund um ein Lagerfeuer, lassen eine Pfeife herumgehen und lachen. Ab und zu taucht einer von ihnen einen Kübel in den Brunnen ein und schüttet den Inhalt in einen Trog, wo die Rinder schnaubend und stoßend um einen Platz kämpfen. Mungo tritt aus dem Schatten vor und fällt vor ihnen auf die Knie. «Wasser», bittet er. «Gebt mir Wasser!» Und dann auf englisch: «Einen Tropfen, einen Schluck, einen Löffelvoll!»
    Anfangs sind sie verschreckt. Doch dann sehen sie auf den armen, ausgezehrten Teufel herab, der sich da vor ihnen im Kuhmist wälzt, und sie fangen an zu lachen. Ihre Augen glänzen und sind mit roten Venen durchzogen. Sie torkeln, prusten, halten sich die Rippen, ihr Lachen schallt durch die Nacht – «Yii-ha-ha-ha-haa!»   –, ein Lachen wie das Erdrosseln von Vögeln. Dann tritt einer von ihnen vor, die Pfeife in der Hand. Er hat winzige Augen, Schweinsäuglein, und seine Augenbrauen wölben sich über dem Gesicht wie eine erodierte Uferböschung. «Wasser!» ruft Mungo. Der Mann bückt sich, zieht an der Pfeife und bläst dem Entdeckungsreisenden eine Qualmwolke ins Gesicht. Der Duft ist kräftig, aromatisch, klebrig: Paffen die etwa Räucherkerzen? Mungo hustet. Dann dreht sich der Mann mit einer wiegenden Bewegung um und ruft zu seinen Gefährtenhinüber: «Der
Nazarini
will Wasser?» Sie lachen. «Dann gib ihm doch Wasser, Sidi!»
    Sidi wendet sich wieder an den Entdeckungsreisenden und zischt:
«La illah el allah, Mahomet rassul Allahi.»
Mungo erkennt den Spruch: Es gibt nur einen Gott, und Mohammed ist sein Prophet. Sie lassen ihn diesen Satz hundertmal am Tag aufsagen. «Okay», sagt er. «Okay» und murmelt rasch ein Vaterunser, in dem er auf mildernde Umstände plädiert. Sidi gibt ihm einen Tritt.
«La illah el allah, Mahomet rassul Allahi»
, sagt Mungo. «Wasser!» brüllen die anderen. «Gib dem
Nazarini
Wasser, Sidi. Gib ihm heiliges Wasser!»
    Die Haxen der Rinder gehen auf und nieder. Staub legt sich auf den Entdeckungsreisenden wie grauer Pulverschnee. Er steigt ihm in die Nase, sickert ihm in die Kehle. Er kann sie hören, die blöden Viecher, wie sie in hirnloser Zufriedenheit über den Trögen sabbern, wie die wertvollen, seidigen Tropfen von ihren Mäulern triefen und wie Juwelen an den Spitzen ihrer Barthaare hängenbleiben. «Du willst Wasser?» fragt Sidi. Mungo nickt. Und dann, ganz plötzlich, ohne Vorwarnung, schlägt der Sklave seine
jubbah
zurück und pinkelt ihn an – scharf und salzig läuft ihm der heiße Urin in den Kragen, durch die Finger, dringt tief in den Stoff seiner Weste ein. Der Entdeckungsreisende springt voller Zorn auf, verzweifelt und mordgierig, doch Sidi hat sich lachend ein Stück entfernt, und jetzt bücken sich die anderen nach Steinen und Holzstücken. Geschwächt und stinkend steht Mungo da, als die Hirten anfangen, ihn zu bewerfen. «Trink Pisse, Christ!» johlen sie. Er wendet sich ab und trottet in die Nacht davon.
    Es ist ganz still. Die Sterne strömen über das Himmelszelt wie vergossene Milch; Moskitos greinen in den Bäumen. Auch bei den nächsten drei Brunnen wird er abgewiesen, mit Fäusten und Stöcken geprügelt. Am letzten Brunnen, einem etwas abgelegenen alten Brackwasserloch,stehen ein betagter Sklave und sein Sohn, ein Junge von acht oder neun Jahren, und tränken bei Fackelschein die Herde ihres Herrn. Mungo bittet sie um Wasser. Einen Moment lang mustert ihn der Alte mißtrauisch, dann nimmt er einen Eimer aus dem Brunnen.
«Salaam, salaam, salaam»
, stößt Mungo hervor und will danach greifen, als der Junge seinen Vater am Ärmel zupft.
«Nazarini»
, sagt der Junge. Der alte Mann zögert, blickt zuerst auf den Eimer, dann auf den Brunnen. Er sorgt sich über Verunreinigungen, Flüche, plötzlich des Nachts versiegende Brunnen. «Bitte», sagt der Entdeckungsreisende, «ich flehe euch

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