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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Spinne zerquetscht hätten. Adam nahm seinen Bruder beiseite. «Wir machen, daß er den Rausschmiß kriegt», flüsterte er.
    Am nächsten Morgen versammelten sich die Schüler von Selkirk in aller Frühe vor dem Schulgebäude, um Tullochgorms Ankunft zu erwarten. Es war kalt, und einige scharten sich um den Eingang, rieben sich die Hände und stampften mit den Füßen. Adam und Finn waren darunter, die Hände in den Taschen, Schulhefte unter dem Arm. Sie grinsten einander an wie Casca und Metellus Cimber auf den Stufen des Senats. Mungo und ein paar der härteren Burschen waren draußen auf dem zugefrorenen Ententeich und wärmten sich mit einer Runde Curling auf. Die zwanzig Kilo schweren Pucksteine zischten übers Eis wie lange, scharfe Atemzüge, während die Spieler mit kurzen Besen nebenherkeuchten und das Echo der Kollisionen durch die beißende Morgenluft knallte. Von Zeit zu Zeit erscholl ein Triumphschrei – auf latein natürlich.
    Gleg war spät dran. Er hastete den Pfad entlang, tief gebückt, das Schulheft vorn in die Jacke geklemmt, in den Händen eine Deckelkanne mit Bier. Es war der Tag des Schuldgelds, und jeder Schüler mußte anstelle von pekuniären Zuwendungen der Speisekammer des Lehrers einen im vorhinein bestimmten Artikel beisteuern. Colin hatte einen Scheffel Weizen gebracht, Mungo einen Korb Kartoffeln. Andere waren um weiße Rüben oder Butter oder ein Suppenhuhn gebeten worden. Gleg hatte den Auftrag, dem Schulmeister die nächsten zwei Wochen lang jeden Tag ein Seidel Bier zum Mittagessen mitzubringen.
    Als Georgie am Teich vorbeieilte, drehte sich Mungo zu ihm um und rief: «He, Gleg – willst du für mich das Eis fegen?» Georgie war wie vom Donner gerührt. Weniger überrascht wäre er gewesen, wenn man ihm eins mit derSchaufel übergezogen hätte. Für Mungo Park fegen? Er konnte es kaum glauben. Nie zuvor hatte ihn jemand eingeladen, bei irgend etwas mitzumachen. Dabei wünschte er sich nichts anderes. Stundenlang saß er herum und sah ihnen zu, wie sie Hockey, Fußball, Golf spielten, ersehnte seine Chance, betete darum, daß der Torwart sich ein Bein bräche und sie sich an ihn, an Georgie Gleg wenden, ihm auf die Schulter klopfen, ihn in neuem Lichte sehen würden.
    «Na, was ist? Willst du oder willst du nicht?»
    Er nickte, nickte aufgeregt, das Herz pochte ihm gegen die Rippen wie ein Vogel, der sich freikämpfen möchte. «Ich muß bloß noch – bloß noch das Bier abstellen   …», stammelte er und hopste schon über den Hof zum Schulhaus hin, viel zu sehr von Vorfreude erfüllt, um Verdacht zu schöpfen.
    Er rannte zum Eingang hinauf, ganz außer Atem, der Rotz hing ihm in Zwillingsströmen unter den Nasenlöchern. Es dauerte keine fünf Sekunden – er stellte die Deckelkanne zu den übrigen Gaben, schob sein Heft in einen Mauerspalt und rannte schon wieder den Pfad zurück.
    Sein Schicksal war besiegelt.
    Adam grabschte nach dem Gefäß, sobald ihm Gleg den Rücken kehrte, klappte den Deckel auf und tat einen langen, tiefen Zug. Er wischte sich den Mund ab und nahm noch einen Schluck. Dann kam Finn an die Reihe. Finn sprach ordentlich zu und reichte das Seidel an Robbie Monboddo, der seinen Schluck nahm und es weitergab. Sekunden später trank Adam es leer. Und während Colin nach Tullochgorm Ausschau hielt, knöpfte er sich die Hose auf und pinkelte in die Kanne, kämpfte um jeden letzten Tropfen, drückte und drückte, sein Gesicht war ganz rot vor Anstrengung. Finn war als nächster dran. Dann Robbie, Colin und die anderen. Bei Colin kam erst nichts, und die anderen feuerten ihn an und kicherten, machten Witzedarüber, als wären sie auf dem Fußballplatz, und hier hätte er die Chance auf ein Tor. Tullochgorm kam bereits in Sicht, und die Kanne war noch nicht voll. Mach schon, mach schon, du schaffst es. Endlich, es blieb kaum eine Minute Zeit, entspannte sich Colin, süßes Geplätscher, und füllte die Kanne bis zum Rand. Jubel brandete auf. Tullochgorm bezog ihn auf sich und lüpfte kurz den Hut, als er an ihnen vorbeischritt, um die Tür aufzuschließen.
    Im Winter begann die Schule bei Tagesanbruch und ging bis Sonnenuntergang, mit einer halben Stunde Pause zur Erholung gegen Mittag. Während der Pause saßen die Jungen fröstelnd an den Pulten und stocherten in kaltem Porridge herum, oder sie nutzten die freie Zeit zum Schlittschuhlaufen oder Eisschießen auf dem Teich. An diesem Tag aber verließ keiner den Raum. Im Klassenzimmer herrschte gedämpftes

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